Stadtnachricht

„Es ist normal, verschieden zu sein.“
Inklusionstag an der Reinhold-Maier-Schule


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Das einfache Weiterreichen eines Balles wird blind zur Herausforderung.

Insgesamt 45 Schulen hat das Inklusionsprojekt „Handicap macht Schule“ in diesem Jahr besucht, darunter auch die Schorndorfer Albert-Schweitzer-Schule, die Künkelinschule, die Gemeinschaftsschule Rainbrunnen und die Reinhold-Maier-Schule. Ziel des Projektes ist es, Viertklässlern auf spielerische Art und Weise und einem Perspektivwechsel näherzubringen, dass „behindert sein“ relativ ist. Möglich gemacht wird das durch eine Trainingseinheit im Blindenfußball oder Rollstuhlbasketball. Dafür stehen die zwei erfahrenen Trainer Benjamin Zoll für Blindenfussball und Werner Rieger für Rollstuhlbasketball zur Verfügung.

2016-07-21_Handicap-macht-Schule_01 Als der Württembergische Behinderten- und Rehabilitationssportverband und die SportRegion Stuttgart das Projekt im Jahr 2013 ins Leben gerufen hatten, konnte keiner der Beteiligten den großen Erfolg vorhersagen. Doch die bei der Abschlusspressekonferenz in der Reinhold-Maier-Schule vorgestellten Zahlen sprechen für sich: Bis heute wurden 306 Schulklassen in 122 Schulen besucht, was wiederum rund 6.100 teilnehmenden Schülerinnen und Schülern entspricht.

„Handicap macht Schule ist das erste Projekt der SportRegion Stuttgart, das über einen solch langen Zeitraum läuft. Das positive Feedback zeigt uns, dass wir das richtige Gespür hatten und damit auf dem richtigen Weg sind, denn Barrieren bestehen meist nur in den Köpfen der Menschen. Es ist normal, verschieden zu sein“, sagte Matthias Klopfer, Oberbürgermeister der Stadt Schorndorf und Vorsitzender der SportRegion Stuttgart bei der Eröffnung der Pressekonferenz. Thomas Nuss, Geschäftsführer des Württembergischen Behinderten- und Rehabilitationssportverbandes, freute sich ebenfalls über den Erfolg des Projektes: „Die bisherige Entwicklung ist mehr als positiv. Wir haben damit eine gute Möglichkeit geschaffen, Kindern das Thema Inklusion auf spielerische und interessante Weise nahezubringen.“ Gleichzeitig kündigte er Untertützung durch einen neuen Förderpartner an: Die Kinderhilfsaktion „Herzenssache“ von SWR, SR und Sparda-Bank hat Spendengelder für die kommenden zwei Jahre zugesagt. „Dadurch können wir das Projekt noch weiter ausbauen, noch mehr Schulen besuchen und somit den inklusiven Gedanken noch weiter verbreiten“, so Nuss.

Als Überraschungsgast nahm Andrea Rothfuss, Goldmedaillengewinnerin bei den Paralympics 2014 im Ski-Slalom, teil. „Handicap macht Schule zeigt immer wieder, dass Kinder sehr offen für dieses Thema sind und weniger Berührungsängste als viele Erwachsene haben. Über Inklusion wird hier nicht nur gesprochen, sondern erlebbar gemacht. Genau so können Barrieren im Kopf erfolgreich abgebaut werden.“

Andrea Rothfuss als Gast beim Inklusionstag

2016-07-21_Handicap-macht-Schule_04 Andrea Rothfuss war dann auch erstmalig als Botschafterin des Behindertensports beim Inklusionstag in Weiler. Ihr fehlt seit Geburt die linke Hand. „Es ist wahnsinnig interessant zu hören und sehen, wie die Trainer den Kindern Blindenfußball und Rollstuhlbasketball beibringen. Ich sehe das allerdings weniger als Behindertensport sondern mehr als neue Trendsportarten“, so Rothfuss. Sie ist sich sicher, dass viele Kinder nach solchen Sportstunden auch daheim davon erzählen und somit die Eltern von ihnen Inklusion erfahren. Kinder gehen in der Regel lockerer mit dem Thema um, sind von Natur aus neugieriger und haben weniger Berührungsängste. „Als ich Kind war, war Inklusion eigentlich noch kein Thema. Ich habe den regulären Schulsport besucht und zum Beispiel auch mein Seepferdchen in einer Schwimmgruppe gemeinsam mit nicht behinderten Kindern gemacht. Meine Mutter sprach vorab immer mit Lehrern und Trainern, informierte sie über mein Handicap. ‘Meine Tochter ist völlig gesund, ihr fehlt nur eine Hand.’ Die Lehrer sahen dies als Herausforderung und so konnte ich überall mitmachen.“ An Motivation fehlte es Andrea Rothfuss ebenfalls nicht: „Ich hatte den Ehrgeiz, die gleichen Dinge wie meine Freunde und Mitschüler machen zu können. Wenn sie auf Bäume kletterten, wollte ich immer noch höher kommen als sie.“ Als „Aushängeschild“ des Württembergischen Behinderten- und Rehabilitationssportverband möchte Rothfuss behinderten Kindern Mut machen, sich den gleichen Herausforderungen zu stellen wie andere Kinder. Gleichzeitig will sie auch Barrieren in den Köpfen anderer Menschen abbauen. „Behinderte gehen in der Regel viel offener mit dem Thema um als Nicht-Behinderte.“

Am Anfang ihrer Ski Karriere wurde sie oft gefragt, wieso sie nur mit einem Stock fährt. „Ab und an wurde ich auch gefragt ob ich ihn verloren hätte.“ Als dann alle wussten, dass sie wegen einer fehlenden Hand nur einen Stock nutzt, wurde sie immer schnell erkannt. „Einmal hatte sich eine Mitfahrerin den Arm gebrochen und war ebenfalls mit nur einem Stock unterwegs. Da wurden wir häufig verwechselt“, erzählt Andrea Rothfuss lachend.

Tischtennis-Trainingseinheit mit Tim Laue

2016-07-21_Handicap-macht-Schule_03 Tim Laue ist Deutscher Vizemeister Herren 2015 im Tischtennis. Er spielt wegen seiner sogenannten Tetraspastik an beiden Armen und Beinen in der Gruppe sechs der am stärksten behinderten Sportler, die im Stehen spielen. Da ihm Bewegungen schwerfallen, steht er dicht an der Platte und fängt die Bälle direkt ab. Gemeinsam mit Tischtennistrainer Andreas Escher zeigte Laue den Gästen eine Trainingeinheit. Spannend zu sehen war, dass Laue taktisch so spielt, dass der Gegner keine Chance hat, weite Bälle zurückzuspielen. Escher über Laue: „Tim spielt auf Perfektion. Im Tischtennis geht es nicht nur um Muckis, sondern vor allem um die Konzentration.“ „Ich spiele Tischtennis, weil es eine Sportart ist, die jeder spielen kann. Sogar Menschen mit und ohne Behinderung können problemlos zusammenspielen“, erklärt Laue seine Leidenschaft. Neben seinem Engagement in einem Verein mit einer speziellen Behinderten-Tischtennisabteilung spielt er auch in einer Gruppe mit nicht Behinderten zusammen.

Bei ihrem Auftritt trugen Escher und Laue die Trikots des Team BaWü, das alle Sportlerinnen und Sportler, egal ob behindert oder nicht, nur bei Meisterschaften tragen dürfen. „Die Spieler freuen sich immer, die Trikots anziehen zu dürfen. Das sieht man auch auf ihren Whatsapp-Profilen“, erzählte Escher mit einem Grinsen. Zum Abschluss der Praxiseinheit hatten Freiwillige noch die Gelegenheit, fünf Aufschläge von Tim Laue zurückzuspielen. Meist konnte Laue allerdings schon vorher sagen, ob die Gegener die Bälle ins Netz schlugen oder gar links oder rechts von der Platte spielten.