Stadtnachricht

„Säulenheiliger“ lässt Menschen lächeln




Da stehen sie, legen die Köpfe in den Nacken, erblicken den Mann, der in einer der Nischen der Schorndorfer Stadtkirche steht, mit nichts bekleidet als dem Sand, der an seinem Körper pappt und ihn aussehen lässt, wie das Abbild einer in Stein gemeißelten Gottheit. Und dann lächeln sie, ja einige lachen regelrecht befreit auf. Thomas Putze, einer der 13 Künstler die bis zum 10. November 13 der leeren Nischen an der Schorndorfer Stadtkirche mit Kunst besetzen, hat mit seiner Performance namens „Säulenheiliger“ etwas wahrhaft Reformatorisches vollbracht. Am Samstagabend wurden die Kunstwerke vor großem Publikum enthüllt.

Zu diesem „Säulenheiligen“ blickt man nicht mit Gottesfurcht empor. Er gibt sich sehr menschlich. Mal hockt er sich hin, umschlingt mit den Armen seinen Körper, um sich vor der Kälte zu schützen und nach ungefähr zehn Minuten lässt er sich wieder nach unten holen. Vor diesem Heiligen kniet keiner nieder. Mit diesem fängt man ein Gespräch an.

Bildersturm

Von den einst mehr als 20 gotischen Skulpturen an der Aussenfassade der Schorndorfer Stadkirche überlebten gerade mal fünf den nachreformatorischen Bildersturm. Die Heiligen, die einst hier thronten, zu denen die Menschen ehrfürchtig, und nicht selten mit gebeugten Knien emporsahen, sind in einem „befreienden und zerstörerischen Akt“ heruntergerissen worden. Diese „Reinigungsaktion“, die Bernd Hennig zu seinem Werk „Universalreiniger“ inspiriert haben mag, hat eine Leere hinterlassen und keinesfalls wirkte diese nur befreiend. 500 Jahre nachdem Martin Luther die 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg schlug, im Feierjahr der Reformation, hat die Schorndorfer Kirche die Kunst gefragt und von 13 Künstlerinnen und Künstlern Antworten bekommen. Antworten darauf, wie die Themen der Reformatoren heute ihren Wiederhall finden, wohin wir in reformatorischem Sinne unterwegs sein könnten. Denn das Feiern der Reformation darf nicht zum bloßen Erinnerungsakt verkommen, meint Pfarrerin Dorothee Eisrich.

Heute gehe es wieder um eine dringende „Reformation unseres Lebensstils und unserer Werte“. Die Kirche müsse ein Ort sein, von dem dieser Geist ausgeht. „Ein Haus der Freiheit“, ganz im Sinne des Mottos, das über dem Reformationsjahr in Baden Württemberg steht: „…das ist Freiheit“. Wie werden sie die roten Fahnen, die Pusteblumen, die Leuchtschriften und die rosafarbene an ein Gummibärchen erinnernde Figur aufnehmen? Fast meinte man, bei der Eröffnung die Aufregung der Verantwortlichen spüren zu können. Ursula Quast hoffte da auf eine „kraftvolle Offenheit“, zitierte geradezu beschwörend Hölderlin: „Komm! ins Offene, Freund!“

Christliche Freiheit

Erster Bürgermeister Edgar Hemmerich erwartete durchaus auch Kritik an der Kunst und Dr. Christiane Kohler-Weiß, die Beauftragte des Evangelischen Oberkirchenrats für das Jubiläumsjahr, betonte, wie gerne die Landeskirche dieses Projekt unterstützt habe. Man möge die „christliche Freiheit nutzen, um freimütig zu sagen, was nötig ist und hören, was andere freiheitliche Geister sagen.“ Sie erwarte eine „Verunsicherung“ bei vielen Betrachtern im Angesicht der wieder besetzten Nischen an der Kirche. Und auch die Frage: „Was das soll?“ Doch sie ist optimistisch: „Es weht ein Geist der Freiheit um diese Stadtkirche, Schorndorf, das ist Freiheit!“, so ihr Ruf an die Schorndorferinnen und Schorndorfer. Dr. Peter Schütz, evangelischer Theologe an der Universität in München, übernahm es, auf die 13 Künstler und ihre Kunst einzugehen. Eine Kunst, die die Leere nach dem Bildersturm wieder füllt ohne „die Leere zu verwischen“. So entstehe eine „produktive Spannung, die den Betrachter ins Zentrum des Geschehens rückt“.

Nachdenklich

Die Kunst an diesem aufgeladenen Ort vermag es, die „Perspektive zu verändern“. Sie ist gleichwohl auch ein Wagnis, „eine Irritation und Zumutung, die man aushalten muss“. So war man also auf manches gespannt. Doch die Mehrzahl der Betrachterinnen und Betrachter formierte sich im Angesicht der Kunst nicht als bilderstürmerischer Mob. Nachdenklich betrachtet man die weißen Papierboote, erdacht von Alfons Koller aus Winnenden, die wie ein fragiles Windspiel aus einer Nische hängen. Man kann in ihnen Hoffnung sehen, man kann in ihnen die schreckliche Verletzlichkeit der Menschen erkennen, die sich hoffnungsvoll in Boote begeben auf der Suche nach Leben. Man reckte neugierig den Kopf zum Werk von Hardy Langer aus Schorndorf hinauf. Er lässt ein menschenähnliches Wesen, ganz in rosa, aus dem Schutzraum der Kirche hinaus treten. Doch ein Schritt noch, und er wird stürzen. Patrick Bebelaar am Piano, Frank Kroll am Saxophon und Johannes Mayr an der Orgel gaben der Vernissage den besonderen musikalischen Rahmen.

Thomas Putze ist wieder herunter gestiegen. An ihn als menschlichen „Säulenheiligen“ erinnert jetzt nur noch die Tafel am Fuße der Nische: „…dabei weiß ich nicht sicher, ob das überhaupt ein Bild ist, was ich da gebe, oder mehr die handgreifliche Suche danach. Unumstößliche Bilder haben bei den Reformatoren eh schlechte Karten gehabt. Vielleicht ist dieses der Kunst eigene ‚Sich wundern, was das soll’ dem Glauben viel näher.“