Stadtnachricht

Zeitzeugen aus Kahla diskutieren im Rathaus


Podiumsdiskussion

Vor 20 Jahren fiel in der ehemaligen DDR die Mauer. Den hinter ihr lebenden Menschen wurden Freiheit und Demokratie geschenkt. Im hiesigen Rathaus diskutierten die Zeitzeugen aus der Partnerstadt Kahla in Thüringen, Bernd Leube (Bürgermeister), Wolfgang Kellner und Dieter Wolf die spannenden Tage der Wende. Moderator Dr. Frieder Stöckle hatte im Frühjahr 1990 in Kahla einen Film gedreht, in dem viele Einwohner zu Wort kamen. Dieser rund 60 Minuten dauernde Streifen stimmte die dicht sitzenden Zuhörer im Großen Sitzungssaal des Rathauses auf das Thema ein. Oberbürgermeister Matthias Klopfer bezeichnete die damaligen durchweg friedlichen Vorgänge als einen zentralen Punkt für Deutschland und eine "Sternstunde der deutschen Geschichte." Für den einen oder anderen Zuhörer mag das Fazit der angereisten Gäste etwas überraschend geklungen haben. Viel wichtiger als die erlangte Reisefreiheit ("der Urlaub ist meist nach drei Wochen vorbei") sehen sie die Möglichkeiten an, nun selber etwas anpacken und loslegen zu können. Dafür habe es vor der friedlichen Revolution für den Einzelnen fast keine Chance gegeben.

Im Stöckle-Film "Momente der Wende" äußerte sich der damals noch als Schuldirektor amtierende Pädagoge (und spätere Bürgermeister) Bernd Leube: "Die Schüler und Lehrer müssen jetzt lernen, die bürgerliche Demokratie durchzuführen." Das geschah zunächst an den eingerichteten "runden Tischen", an denen auch eine Menge Führungsleute der PDS saßen, obwohl man denen "die Krone genommen hatte" (Leube). Weil hinter verschlossenen Türen getagt wurde, hätten diese Versammlungen in der Öffentlichkeit kaum Beachtung gefunden. Dieter Wolf erinnert sich: "Da wurde zwar viel beschlossen, aber in der Kirche vor dem Friedensgebet vom Pfarrer nur das verkündet, was er selbst wollte." Dadurch habe die Kirche viele verschreckt und auch Vertrauenskapital eingebüßt.

Gerne erinnern sich die Gäste an das "riesige Zusammengehörigkeitsgefühl", das einst in der DDR geherrscht habe: "Jeder hat jedem geholfen." Die Mangelwirtschaft habe die Menschen zusammengeschweißt. Weil jeder das gleiche Lebensniveau hatte, gab es auch keinen Neid. Zwar seien Grundnahrungsmittel und Schnaps ausreichend vorhanden gewesen, aber das war es dann auch. Bernd Leube hatte die Lacher auf seiner Seite, als er dies an einem Erlebnis bildhaft erklärte. Als er vor einem Geschäft eine lange Schlange Wartender stehen sah, stellte er sich mit an: "Ich war gespannt, was es hier gab." Im Angebot waren an diesem Tag Heizkörper. Leube: "Ich brauchte zwar keinen, habe ihn aber trotzdem gekauft." Dafür konnte er ihn beim Nachbarn dann gegen die benötigte Bohrmaschine eintauschen.

Körperliche Angst haben die Kahlaner in der Wende-Zeit nach ihren Aussagen nicht verspürt. In Leipzig sei da bei den Demonstrationen viel mehr gelaufen. Dort erlebte die Ehefrau Leubes hautnah, wie eine Messe geräumt und in den Seitenstraßen Panzer aufgefahren sind. Übereinstimmend nennen die Diskutanten drei wichtige Gründe für den Zusammenbruch der DDR. Der entscheidende sei wohl das "wirtschaftliche Aus" gewesen, vor dem der sozialistische Staat stand. Mit einher ging die absolute Mangelwirtschaft: "Es gab nichts." Dann fällt noch der Name Gorbatschow, ohne den wohl nichts gegangen wäre: "Der hat mit seiner Reformpolitik eine große Rolle gespielt." Die von ihm geprägten Schlagworte "Glasnost" (Transparenz) und "Perestroika" (Umgestaltung) hätten Vertrauen geschafft und den Menschen Mut gemacht.