Stadtnachricht

"Ich habe immer versucht, so viel wie möglich herauszuholen"


Eigentlich ist er aus dem Schorndorfer Gemeinderat gar nicht wegzudenken. Seit 1980 gehörte Dr. Dieter Keil dem Gremium an. Die kommende Sitzung am 29. Juli wird seine letzte sein. Der inzwischen 75-Jährige ist bei der Kommunalwahl nicht mehr angetreten. Im Interview mit Schorndorf aktuell erzählt der Gynäkologe von schweren Geburten im Gemeinderat, prägenden Menschen und davon, was ihn mit dem Schauspieler Gert Voss verbindet.

Dr. Keil

Herr Dr. Keil, welches war das wichtigere Ereignis in diesem Jahr: Ihr 75. Geburtstag oder die Entscheidung, nicht mehr bei der Gemeinderatswahl anzutreten?

Dieter Keil: Ganz sicher das Zweite. Der Geburtstag ist, Gott sei Dank, noch gekommen, aber das Highlight ist schon eher, dass ich mich entschlossen habe, das mit dem Gemeinderat zu lassen. Und ich halte es auch für richtig. Denn ich bin schon länger dafür, dass man junge Menschen motiviert, mitzumachen. Wir hatten auf unserer Liste eine ganze Reihe junger Leute, die gepasst hätten. Dass sie leider nicht gewählt wurden, finde ich schade. Aber ich habe zumindest mal Platz gemacht.

Woran liegt es denn aus Ihrer Sicht, dass die Jungen nicht gewählt werden?

Keil: Das kann ich nicht sagen. Es ist ja auch bei den anderen Fraktionen nicht üppig. Die zwei, die bei den GRÜNEN und der SPD gewählt wurden, sind in meinen Augen ein Glücksfall. Ganz besonders hat mich gestört, dass die Frauenpower so wenig Widerhall bei der Wahl fand. Ich habe bei manchen gedacht, sie machen den sichern Durchmarsch.

Dafür sind Sie insgesamt sieben Mal durchmarschiert. Was hat Sie eigentlich bewogen, vor mehr als 30 Jahren das erste Mal zu kandidieren? Oder wer?

Keil: Ich habe einen sehr guten Freund, Wolfgang Weigold, der war damals schon im Gemeinderat. Und einen Hausherrn, bei dem wir in Weiler gewohnt haben, Manfred Kolb, den damaligen Ortsvorsteher. Wenn wir uns immer mal wieder unterhalten haben, sagten die beiden unabhängig voneinander immer nicht nur meckern, mitmachen. Die beiden haben mich dazu motiviert zu sagen na gut, dann mache ichs halt  in meinem absoluten Verständnis, da wird eh nix draus.

Was gab es denn zu meckern in den 70er, 80er Jahren in Schorndorf?

Keil: Nun ja, es waren immer so momentane Geschichten, die einen gestört oder geärgert haben. Beispielsweise die Umgehungsstraße, die immer hinterher hinkte, oder die geplante Stadthalle. Das waren dann die Themen, über die man bei gemeinsamen Treffen diskutiert hat. Ich war vor meiner Wahl in den Gemeinderat weder parteipolitisch noch sonst irgendwie kommunalpolitisch involviert. Denn ich hatte eigentlich auch genug anderes zu tun, weil ich ja das Glück hatte, wissenschaftlich arbeiten zu dürfen.

Stimmt, wer sich über Sie informiert, erfährt, dass Sie immer viel unterwegs waren, bei Kongressen, in wissenschaftlichen Projekten.

Keil: Ja, ich wollte ursprünglich Mikrobiologe werden und habe im Fach Mikrobiologie promoviert. Es kam dann aber, wie es oft so ist im Leben, alles ganz anders. Letzten Endes bin ich in der Frauenheilkunde hängengeblieben und mit klopfendem Herzen zu meinem Doktorvater nach Tübingen marschiert, um ihm zu sagen, dass ich nicht an die Uni zurückkomme. In Esslingen an der Klinik hatte ich einen Professor als Chef, der mich in die Hormonforschung gebracht hat. Und so kam ich doch noch dazu, wissenschaftlich zu arbeiten und sehr viel herumzukommen. Nur nach Australien habe ich es bisher leider nicht geschafft.

Dadurch, dass Sie so viel in der Weltgeschichte unterwegs waren, hatten Sie auch immer den Blick von außen auf Schorndorf. Wie war der denn?

Keil: Ach, nicht schlecht. Ich fühle mich bis heute sehr wohl in Schorndorf. Wir wohnen seit mehr als meinem halben Leben in der Stadt, sie ist also wirklich zur echten Heimat geworden. Und so war das auch, wenn wir im Ausland waren. Es war immer eine Freude, zurückzukommen. Und ich bin der Meinung, wenn man die Chance hat, mitzuarbeiten und am Wohlfühlergebnis der Stadt beteiligt zu sein, dass das die jungen Leute doch motivieren müsste.

Damit sind wir wieder beim Gemeinderat. Gab es denn Kollegen, die Sie speziell in Ihrer Anfangszeit geprägt haben?

Keil: Oh ja, zweifellos. Da ich kommunalpolitisch ganz laienhaft ankam, haben mich schon einige Leute geprägt. Zum Beispiel Frieder Stöckle. Wir sind zwar völlig unterschiedlich und kommen aus ganz unterschiedlichen Ecken, aber wir haben uns auf irgendeine Art und Weise sehr schnell sehr gut verstanden. Und das hält bis heute an. So war es nicht verwunderlich, dass wir zusammen mit Bürgermeister Andreas Stanicki die erste Schorndorfer Schreibwerkstatt betreuten, die zum größten Teil aus Jugendlichen mit Migrationshintergrund bestand. Das war ein Projekt, das uns besonders wichtig war.

Als Frauenarzt kennen Sie sich ja auch gut aus mit Geburten. Welches war denn die schwerste Geburt im Gemeinderat?

Keil: Da muss ich überlegen ... Mich hat die Geschichte der Umgehungsstraße sehr beeindruckt. Ursprünglich waren wir für die Untertunnelung der alten B29 und dann kam die Planung für die Umfahrung. Ich bin seit vielen Jahren Hobbyflieger und hatte befürchtet, dass sich die Windverhältnisse durch die Brücken so verändern, dass dies dem Klima der Stadt nicht gut tut, die Frischluft fehlt. Die Entscheidung damals habe ich als sehr schwerwiegend empfunden. Insofern lässt sich das durchaus als schwierige Geburt bezeichnen.

Und was geben Sie dem neuen Gemeinderat mit auf den Weg?

Keil: Das kann ich vielleicht so sagen, als wir angefangen haben, war es durchaus so, dass sich die Fraktionen gegenseitig über den Tisch gezogen und verbal attackiert haben. Glücklicherweise hat sich das wesentlich gebessert. Aber der Umgang miteinander könnte in meinen Augen noch besser sein. Das heißt aber nicht, dass das Salz in der Suppe fehlen soll. Wichtig ist in meinen Augen einfach, dass man der Stadt Bestes im Auge behalten sollte.

Sie haben neben Ihrem Beruf und Ihrer Tätigkeit im Gemeinderat auch immer andere Dinge im Auge behalten. Wenn Sie heute noch einmal einen Beruf auswählen dürften und Dirigent, Pilot und Turnierreiter zur Auswahl hätten, wofür würden Sie sich entscheiden?

Keil: Hmmmm. Maler.

Kunstmaler?

Keil: Ja, weil ich das gerne mache. Von Kind auf. Beim Malen bin ich in einer anderen Welt. Das ist ähnlich wie beim Fliegen, man denkt nicht an irgendwelche Probleme. (Er überlegt ...) Musik käme aber auch in Frage. Das sehen Sie schon daran, dass ich mich nach wie vor im Chorsingen bewege. Die Entspannung dabei ist wunderbar, ganz ähnlich wie beim Malen. Und wenn Sie so fragen, in der Schule schon war ich in der Theater-AG und habe während des Studiums in Tübingen eine Studiobühne mitgegründet. Ich durfte damals "Amphitryon" von Kleist inszenieren. Einer meiner Freunde, der mitgewirkt hat, ist Gert Voss, einer der besten deutschsprachigen Schauspieler heute. Wir zwei haben das zusammen hochgezogen und eine tolle Zeit erlebt. Voss wird es heute wohl unter Jugendsünden verbuchen. Beide hatten wir danach die Chance, eine Schauspielausbildung zu machen. Er hat es wahr gemacht und sich ganz der Schauspielerei gewidmet. Und ich bin von der falschen Überlegung ausgegangen, dass ich das später nebenher, neben meinem Medizinberuf noch machen kann. Was natürlich nicht der Fall war.

Bereuen Sie diese Entscheidung?

Keil: Das kann ich nicht sagen. Aber als ich Gert Voss bei seiner ersten Premiere in Konstanz sah, bin ich in der Pause fast raus, so sehr hat mich das berührt. Wahnsinnig. Ich dachte, er steht jetzt auf der Bühne und ich sitze da und mache Medizin auf dem Land (er lacht).

Herr Dr. Keil, verraten Sie uns zum Schluss doch noch, wie man so viele Dinge, wie Sie sie gemacht haben und machen, unter einen Hut bringt. Sind Sie ein organisatorisches Naturtalent?

Keil: Das haben Sie gesagt (er schmunzelt). Viel zu tun hat mich noch nie auf den Boden gedrückt, im Gegenteil. Ich hoffe, ich konnte Impulse geben. Gerade in meiner Lehrtätigkeit habe ich immer noch das Gefühl, dass mich die jungen Menschen brauchen, mögen, schätzen, wie auch immer man dazu sagen möchte. Und diese Rückmeldung ist es, die mir bei all der Arbeit die Luft zum Atmen gibt. Ich habe halt immer versucht, so viel wie möglich herauszuholen.