Stadtnachricht

Irene Beißwenger: Die Powerfrau in einer ausgesprochenen Männerdomäne


Irene Beisswanger

Dürfen wir vorstellen: Das sind sie, die Menschen in Schorndorf. Manche sehr bekannt, manche gar nicht. Alte und Junge, Männer und Frauen, Hiesige und Reigschmeckte. Unsere in unregelmäßigen Abständen geplante und von Sabine Reichle und Renate Seibold-Völker verfasste Serie stellt sie Ihnen vor. Lassen Sie sich überraschen. Treffen Sie hier alte Bekannte und lernen Sie neue Gesichter kennen. Immer wieder donnerstags in Schorndorf Aktuell.

Morgens um halb sieben steht sie auf. Jeden Tag seit vielen Jahren. Es gab aber auch Zeiten, da hat sie so manche Nacht zum Tag gemacht. Irene Beißwanger ist jüngst 80 Jahre alt geworden und immer noch voller Tatendrang und Zukunftspläne. Ihre prall gefüllte, spannende Biografie, das Leben einer energiegeladenen Frau auf einige Zeitungszeilen zu bringen, ist ein schwieriges Unterfangen. Das Erlebte und Gelebte der gebürtigen Schwarzwälderin würde wahrlich ein dickes Buch füllen. Sie blickt zurück auf ein Geschäftsleben, das sie quer durch Deutschland und Frankreich führte. Schorndorf ist ihre Heimat geblieben.

Weil ihr die Stadt und ihre Menschen wichtig sind, hat sie an ihrem Geburtstag der Bürgerstiftung eine Spende überreicht. "Eine segensreiche Einrichtung," sagt Irene Beißwanger.

Aufgewachsen ist sie in Nagold. Die Eltern betrieben eine kleine Brauerei mit Gaststätte und auch eine Landwirtschaft. Schon als Teenager musste sie kräftig mit anpacken. "Mit 16 Jahren stand ich frühmorgens in der Küche," erzählt die temperamentvolle Frau beim Blättern durch alte Fotoalben in ihrem Domizil in der Göppinger Straße, wo einst die Gebäude der Löwenbrauerei standen. Doch an den Kochtöpfen wollte das junge Mädchen nicht stehen bleiben.

Mit Unterstützung ihrer fortschrittlich denkenden Mutter trutzte sie dem Vater den Wunsch ab, weiter in die Schule gehen zu können. In Reutlingen machte sie am Wirtschaftsgymnasium das Abitur, legte die Prüfung zur Bilanzbuchhalterin ab und lebte in dieser Zeit fernab von den Eltern bei einer befreundeten Unternehmerfamilie. "Mit diesem Abschluss war ich dann gut einsetzbar im Büro unseres Betriebes."

Irene Beißwanger beschäftigte sich mit betriebswirtschaftlichen Berechnungen im Brauereiwesen. Sie bildete sich weiter, besuchte Vorträge und Seminare. Im Alter von 21 Jahren traf sie ein schwerer Schicksalsschlag. Durch einen Unfall erkrankte sie an Wundstarrkrampf. Im Krankenhaus hatten sie die Ärzte aufgegeben. "Die lebt nemma lang," war die Diagnose. Die Mediziner irrten. Irene Beißwanger hat wohl schon damals ihre Zähigkeit und ihr Durchhaltevermögen unter Beweis gestellt.

Einige Jahre später lernte sie bei einer Veranstaltung des Brauereiverbandes in Stuttgart den Schorndorfer Brauereibesitzer Arthur Beißwanger kennen. 1957 heiratet das Paar. Der Ehemann ist 25 Jahre älter. "Ich hatte zunächst ob des Altersunterschiedes schon Bedenken."

Unterwegs in Europa

Unmittelbar nach der Hochzeit stieg sie in eine von Männern dominierte Geschäftswelt ein. Neben dem Brauereibetrieb baute sich Arthur Beißwanger ein zweites Standbein auf. Er entdeckte eine Marktlücke: sowohl die amerikanische Besatzungen als auch die wieder aufkommenden Zeltmissionen benötigten Zelte - und die waren Mangelware. Der Ingenieur Beißwanger konstruierte und baute Zelte bis zu einer Gesamtfläche von 50 000 Quadratmetern. Er verlieh sie an Städte, Messen, Volks- und Bierfeste und an Firmen wie Daimler-Benz. Neben dem kompletten Auf- und Abbau gehörte auch die Innenausstattung mit Holzböden, Teppichen sowie die Außen- und Innenausstattung mit Dekorationen zu den Dienstleistungen der Firma Beißwanger. In den frühen 50er Jahren bestückte man auch das Cannstatter Volksfest. Später konzentrierte sich das Geschäftsehepaar auf den Bau von Messe- und Veranstaltungshallen. Das Geschäft florierte. Bis zu 15 Mitarbeiter wurden beschäftigt.

"Wir waren in vielen Städten in Deutschland unterwegs," erzählt Irene Beißwanger. Von Bremen bis Ulm, in Nordrhein-Westfalen, in Hessen oder in der Pfalz. Irene Beißwanger war beim Auf- und Abbau mit dabei. Sie organisierte, überwachte, verhandelte mit Behörden und sie fuhr zuweilen selbst den Gabelstapler, wenn Not am Mann war. Oft war sie die Erste vor Ort. "Wenn ich ankam, fand ich eine grüne Wiese vor, und wenn ich abfuhr, war es wieder eine grüne Wiese."

Schon 1960 belieferten die Beißwangers auch viele französische Städte mit ihren Zeltbauten. Paris, Nancy, Colmar, Le-Mans, Calais oder La Rochelle. In Dijon, der Stadt, wo der berühmte Senf herkommt, war sie über viele Jahre, um den Aufbau ihrer Zelte für Gastronomiemessen zu überwachen. Die Franzosen schätzten wohl die deutsche Handwerksqualität und die Zuverlässigkeit der schwäbischen Unternehmerin. Irene Beißwanger durfte sich dafür am französischen Essen laben. "Ein Sternekoch hat mich köstlich bekocht," erinnert sie sich heute noch gerne.

Sie hat viele Menschen kennengelernt in ihrem Leben, viel er- und durchlebt. Das ständige Unterwegssein war freilich harte Arbeit und oft fuhr sie auch mit schlechten Gewissen von zu Hause fort. Ihre zwei Söhne und die Tochter blieben in der Obhut des Kindermädchens. "Es ging halt nicht anders, ich bin froh, dass aus allen etwas geworden ist."

1982 starb ihr Ehemann. Kurz vor seinem Tod habe er zu ihr gesagt: "Jetzt musst halt allein weitermachen." Sie tat es mit Power bis zum Ende der 80er Jahre. Zuvor hatte sie auch die Löwenbrauerei aufgegeben. 1986 floss der letzte Gerstensaft, der sich bei den Schorndorfern keiner großer Beliebtheit erfreute.

Irene Beißwanger hat damals unter dem schlechten Ruf des Bieres gelitten. "Manchmal hab ich geheult," sagt sie und fügt an, dass das Gebräu doch ganz gut gewesen sei. Inzwischen habe sie das verwunden. Und sich immer noch amüsierend erzählt sie dabei die Geschichte von einem Getränkehändler in Washington, dem das Bier aus Schorndorf offensichtlich mundete. Er hatte, auf welchem Weg auch immer, vom "Löwenbräu" erfahren und bestellte. Irene Beißwanger flog über den Teich, um "mir den Laden mal anzusehen." Sie lieferte und der Mann in Washington warb ohne Absprache in der Washingten Post mit dem "weltberühmten Löwenbräu". Diese Annonce bekamen denn die Macher des Münchner Löwenbräu zu Gesicht und strengten gegen die Beißwangers einen Prozess an, "den wir natürlich verloren haben."

Nach dem Ende der Brauerei hat Irene Beißwanger dort Wohnhäuser errichtet. Geblieben ist der Löwenkeller, der einst mit seinem großen Saal für das gesellige, künstlerische und auch sportliche Leben in Schorndorf eine herausragende Rolle spielte. Nach verschiedenen gastronomischen Nutzungen in den vergangenen Jahren steht er nun leer. "Die Gastronomie passt hier einfach nicht mehr her," resümiert sie.

Irene Beißwanger würde gerne diesen legendären Ort erhalten. Derzeit tüftelt sie an einigen Ideen und Zukunftsplänen.

Die Schafzüchterin

Unweit des Löwenkellers weiden Schafe. Auch das ein Teil ihres umtriebigen Lebens. Aus zwei Schafen, die sich ihr ältester Sohn als 14-Jähriger wünschte, wurde eine Schafzucht. Zuweilen fungierte Irene Beißwanger als "Mutterersatz", wenn ein Schäflein nicht angenommen wurde. Über vier Jahrzehnte sind ihr die Tiere sehr ans Herz gewachsen. Sie will die Schafzucht nun aufgeben. Bisher hat sie noch niemanden gefunden, der die Schafherde in Obhut nimmt. "Ich will sie halt in sicheren Händen wissen," sagt Irene Beißwanger ein bisschen wehmütig.