Stadtnachricht

Stuttgart 21: Gemeinderäte nehmen Stellung


Hans-Ulrich Schmid (SPD): Die Architektenkammer Baden-Württemberg sieht im Vorhaben Stuttgart 21 eine "Rücknahme der zerstörerischen Eingriffe zu Beginn des letzten Jahrhunderts, als eine gigantische Eisen- und Schotterfläche an das Herz der Stadt herangeführt wurde".

Das bedeutet, neben den erheblichen verkehrlichen Verbesserungen (ICE-Halt an Messe/Flughafen, Fahrzeitverkürzung von Schorndorf an Flughafen und nach Tübingen um 15 Minuten, kein Ausbau des Güterverkehrs im Remstal, schnelle Trasse nach Ulm, besseres regionales Zugangebot) von der die Menschen in der gesamten Region profitieren, hebt Stuttgart 21 die Teilung der Landeshauptstadt durch die bestehenden Gleisanlagen auf. Die Stadt wächst zusammen.

Jeder, der gegen die weitere Bebauung der grünen Wiese im Stuttgarter Umland eintritt, muss begrüßen, dass mit Stuttgart 21 einhundert Hektar gut erreichbare und hochwertige Flächen für Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Grünanlagen geschaffen werden. Was nützt das uns in Schorndorf? Schließlich bezahlt die Stadt und ihre Bürgerinnen und Bürger unter anderem über die Kreisumlage mit.

Unsere Flächen werden geschont und von einer modernen und attraktiven Stuttgarter Innenstadt profitiert auch immer das Umland. Wir alle wissen, dass viele Schorndorferinnen und Schorndorfer auf zahlreiche und gut erreichbare Arbeitsplätze im Kern der Region angewiesen sind.

Noch ein Wort zur Legitimation des Projekts. Stuttgart 21 ist demokratisch begründet. Die gewählten Vertreter vom europäischen Parlament, über Landtag, Region bis zum Stuttgarter Gemeinderat haben diesem Projekt mit ¾-Mehrheit zugestimmt. Und das auf der Basis einer Debatte, die seit Mitte der 80er Jahre auf fachlicher und politischer Ebene ausführlich geführt wurde. Dennoch hätten die Bürger ausführlicher beteiligt werden sollen.

Weil das versäumt wurde, und von Seiten der CDU und Grünen aus wahltaktischen Gründen der Konflikt reichlich befeuert wurde, ist der Streit über alle Maßen eskaliert. Vor diesem Hintergrund sieht es die SPD als ihre Aufgabe an, das von der Regierung Mappus auf dem Rücken der Polizei und der Protestbewegung zerschlagene Porzellan zu kitten. Die SPD schlägt deshalb vor, mit einer Volksabstimmung den Streit mit friedlichen und demokratischen Mitteln zu lösen.

Ich bin der Überzeugung, dass eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs dem Projekt zustimmen würden. Denn bei einem endgültigen Baustopp fließen die Milliarden-Investitionen nicht nach Stuttgart, sondern in Verkehrsprojekte anderer Regionen Deutschlands mit denen wir im Standortwettbewerb stehen. Bei uns wäre jahrzehntelanger Stillstand bei der Verbesserung der Schieneninfrastruktur die Folge.

Peter Erdmann (FDP/Freie Wähler): Stuttgart 21 - eine Investition in die Zukunft. Mit Sicherheit hätte die Deutsche Bahn besser und umfassender informieren müssen. Nicht gut finde ich auch die vielen Kostenkorrekturen, auch wenn sie durch die lange Planungszeit nachvollziehbar sind. Schwer verständlich sind die erst jetzt vorgelegten Kapazitäts- und Fahrzeitenpläne. Dem Laien ist kaum zu erklären, warum diese elementaren Berechnungen nicht im Vorfeld exakt definiert, sondern erst im Laufe der Realisierung konkretisiert werden können.

Dies alles verunsichert viele kritische und misstrauische Bürger. Grundsätzlich muss man jedoch akzeptieren, dass der Baubeschluss für S21 demokratisch und korrekt zustande kam, was auch höchstrichterlich bestätigt wurde. Kostensteigerungen, Baumfällarbeiten usw. rechtfertigen keine Ablehnung mit der Ausübung "zivilen Ungehorsam", das heißt der massiven Behinderung der Polizei bei der Ausübung ihrer Aufgaben.

Nicht glücklich und S21 abträglich war der massive, robuste Polizeieinsatz mit den vielen Verletzten, wobei die Frage erlaubt sein muss, ob es richtig von den Demonstranten war, sich den mehrmaligen Aufforderungen der Polizei, den Weg frei zumachen, zu widersetzen. Kein Verständnis habe ich für die Demo-Teilnahme von Schülern und Lehrern zu Unterrichtszeiten. Jeder Bürger hat ein Demonstrationsrecht, aber kein Recht auf Verhinderung von legitimen Baumaßnahmen mit der Verursachung von Kosten in Millionenhöhe zu Lasten der Allgemeinheit. Für mich ist es unerträglich, wenn die repräsentative Demokratie durch diese Art von Protest in Frage gestellt wird und damit die Grundlage unserer Demokratie und des Rechtsstaats. Es darf kein Regieren durch die Straße geben!

Für einen Bürgerentscheid ist es, unabhängig von der mehr als strittigen Rechtsfrage nach 15 Jahren Planungszeit zu spät, außerdem ist das Thema zu komplex um so entschieden zu werden. Dies wäre nur zu Beginn möglich und eventuell sinnvoll gewesen. Ein Abbruch der Bauarbeiten ist durch rechtsverbindliche Verträge nicht vorstellbar und mit Kosten von 1,4 Milliarden Euro unverantwortlich!

Stuttgart 21 bringt das Land und die Region voran. Mehr Verkehr auf die Schiene, mehr regionale Zugverbindungen, Anschluss der Messe Stuttgart an den überregionalen Zugverkehr, 100 Hektar zusätzliche Fläche für Stuttgart (davon 20 Hektar für den Park) mit vielen Möglichkeiten, z.B. 11 000 Wohnungen. Es entstehen 7000 neue Arbeitsplätze. Die finanzielle Beteiligung der Kommunen und des Landes sind beim Tiefbahnhof gedeckelt, das Kostenrisiko liegt bei der Deutschen Bahn, die im übrigen Bauherr ist und alle notwendigen Baugenehmigungen hat.

Fazit: Ich hoffe auf Einsicht der Gegner, Aufnahme von sinnvollen Verbesserungsvorschlägen und einen raschen Weiterbau des Tiefbahnhofs und der Neustrecke Wendlngen-Ulm.

PS: Wo waren die Proteste als die letzte Regierung die Abwrackprämie beschlossen hat? Hauptnutzer unter anderem Autoimportfirmen, Kosten fünf Milliarden Euro, Argument heimische Arbeitsplätze.

Mattthias Härer (CDU): Die CDU-Fraktion im Schorndorfer Gemeinderat befürwortet das Bahnprojekt Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Stuttgart-Ulm. Wir begrüßen die gemeinsame Erklärung von 20 OBs unserer Region zu Stuttgart 21 vom 18. Oktober 2010. Das Bahnprojekt Stuttgart 21 in Verbindung mit der Neubaustrecke Stuttgart-Ulm stellt eine einmalige Chance für eine weithin positive gesamtgesellschaftliche, ökologische und wirtschaftliche Entwicklung der Region Stuttgart und damit mittelbar auch der Stadt Schorndorf dar. Das Projekt wurde aus über 60 Varianten ausgewählt, sorgfältig geplant, über 15 Jahre durch alle demokratisch gewählten Gremien mehrfach legitimiert und gerichtlich durch alle Instanzen geprüft und bestätigt. Dies alles sollte eine ausreichende Basis für Planungssicherheit von Projektträgern und Politik sein.

Neben Milliarden-Investitionen sowie einer zusätzlichen Wertschöpfung von 500 Millionen Euro in unserer Region, tausenden neuen Arbeitsplätzen und infrastrukturellen Vorteilen sind auch die ökologischen Pluspunkte bestechend. Verkehr wird durch Stuttgart 21 von der Straße und aus der Luft auf die Schiene geholt. Der Stuttgarter Schlossgarten als grüne Lunge der Stadt wird erheblich vergrößert, 100 ha durch Gleisfläche versiegeltes Gebiet wird neu überplant.

Europäische Alternativrouten laufen an der Region Stuttgart vorbei, so dass eine Nichtrealisierung von Stuttgart 21 zwangläufig dazu führen würde, dass der Großraum Stuttgart im internationalen Schienenverkehrsschatten erheblich an wirtschaftlicher Bedeutung verlieren würde.

Die Kosten für das Gesamtprojekt müssen als langfristige Zukunftsinvestition gesehen werden, die über viele Jahrzehnte Bestand haben wird. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt von Baden-Württemberg in Höhe von 345 Mrd. Euro machen die Projektkosten mit rund 7 Mrd. Euro gerade einmal zwei Prozent aus. Den größten Teil dieser Kosten tragen die EU, der Bund und die Bahn. Diese Gelder sind zweckgebunden und würden im Falle einer Nichtrealisierung für Infrastrukturprojekte nicht in Baden-Württemberg investiert werden.

Stuttgart 21 ist weit mehr als ein neuer Bahnhof in Stuttgart. Nach 15 Jahren intensiver Diskussion und Abwägung müssen wir diese Chance für unsere Region ergreifen. Die Stadt Schorndorf als die Geburtsstadt Gottlieb Daimlers sollte sich besonders verpflichtet fühlen, die Wahrnehmung der Region Stuttgart als innovationsstärkste und wirtschaftkräftigste Region Deutschlands langfristig und nachhaltig zu erhalten.

Clemens Schlink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Als ich das erste Mal vom Projekt Stuttgart 21 hörte, fand ich die Idee ganz pfiffig: Alle Gleise samt Bahnhof kommen unter die Erde; der neue Tiefbahnhof wird über Tunnel an den Flughafen und die Neubaustrecke nach Ulm angeschlossen. Die alten Gleisanlagen (100 ha) können überbaut und begrünt werden. Und das Beste: Das ganze bezahlt sich selbst durch den Verkauf der Grundstücke.

Warum bin ich (und die Mehrheit der Bürger) dann jetzt gegen dieses milliardenschwere Megaprojekt? Aus Schorndorfer Sicht gibt es eigentlich nur Nachteile: Die Stadt muss über zehn Jahre hinweg jährlich mehr als 164.000 Euro zahlen, also über 1,6 Millionen Euro, finanzierbar nur durch höhere Schulden. Die S-Bahn braucht zwei Minuten länger nach Stuttgart wegen der neuen Station Mittnachtstraße. Ebenso zum Flughafen. Außerdem wird der Fahrweg länger aufgrund neuer Streckenführung im Bogen. Es gibt mehr Verspätungen, weil sich der zeitliche Puffer in Schorndorf von acht auf vier Minuten halbiert. Das Umsteigen in Cannstatt Richtung Esslingen oder nach Tübingen ist nicht mehr möglich, sondern nur im Tiefbahnhof. Also auch hier längere Fahrzeit und umständliches, hektisches Umsteigen über Rolltreppen. Obendrein ist es noch teurer.

Natürlich darf man das Ganze nicht nur als Schorndorfer sehen. Nach meiner Meinung ist der Tiefbahnhof mit nur acht Gleisen eine grandiose Fehlplanung. Er wird zum Nadelöhr für den Regionalverkehr und selbst geringe Störungen bringen den Fahrplan durcheinander. Die Ansage: "Leider konnte Ihr Anschlusszug nicht warten" wird dann öfter zu hören sein. Ein integraler Taktfahrplan nach Schweizer Vorbild ist unmöglich. Der hochgelobte Entwurf wird tatsächlich wie eine zweitklassige, düstere U-Bahnstation wirken mit engen Bahnsteigen und lästigen Rolltreppen. Und was ist mit den angepriesenen Fahrtzeitverkürzungen im Fernverkehr? Da gibt es viel heiße Luft. 1995 fuhr man fahrplanmäßig in zwei Stunden und einer Minute nach München. Heute sind es zwei Stunden und 21 Minuten. Warum wohl? Die Bahn investiert Milliarden in fragwürdige Schnellbahntrassen und lässt gleichzeitig die Gleisinfrastruktur verkommen. Jahrelang fuhr ich mit meiner Familie von Stuttgart direkt nach Wien (meine Frau ist von dort). Heute gibt es nicht mal mehr einen direkten Zug nach Wien. Erheblich kürzere Fahrtzeiten nach Wien, Bratislava und Budapest lassen sich durch relativ einfache Verbesserungen der bestehenden Strecke und neue Züge erreichen. Was bleibt dann? Die Ulmer und einige andere würden schneller zum Flughafen kommen. So wird dann noch mehr geflogen und bald kommt die Forderung nach einer neuen Startbahn.

Wie viele Leute fahren denn dann in 14 Stunden von Paris (Kopfbahnhof) nach Budapest (Kopfbahnhof)? Die Bahn muss gegen das Auto antreten, weniger gegen das Flugzeug. Schon aus Klimagründen muss der Güterverkehr auf die Bahn. Auch hier zeigt die Schweiz mit dem neuen Gotthardttunnel (natürlich nach Volksabstimmung) wie das geht.