Stadtnachricht

Vielfalt tut gut: Seit Jahrzehnten eine Institution - der Herrensalon von Filipo Cariddi


Die Integration von Ausländern ist in unserer Gesellschaft ein Dauerthema, das auch der Bundespräsident in seiner Grundsatzrede zum "Tag der Deutschen Einheit" eindrucksvoll angesprochen hat. Nicht absondern, sondern sich in örtlichen Vereinen und Organisationen engagieren, lautet eine wichtige Empfehlung. Äußerst hilfreich sind eine fundierte schulische Ausbildung sowie das Erlernen eines Berufs bis zur Meisterprüfung. In einer losen Folge stellt "Schorndorf Aktuell" erfolgreiche Schorndorfer mit ausländischen Wurzeln vor.

Dass es einmal Zeiten gab, in denen Pizza, Döner oder Gyros noch völlig unbekannt waren, darüber können sich Kinder und Jugendliche von heute nur wundern. 1955 schließt die Bundesrepublik Deutschland ihr erstes Anwerbeabkommen mit Italien. Deutschland hat Arbeit, aber zu wenig Arbeiter. Die ersten "Gastarbeiter" kommen am Schorndorfer Bahnhof an, kritisch beäugt von den Einheimischen. Alle dachten an eine zeitlich begrenzte Geschichte. Doch viele blieben, holten ihre Familien nach und leben nun hier in der zweiten, dritten oder schon vierten Generation.

Aus manchen Schorndorfer Familien sitzen bereits die erwachsenen Enkel seiner ersten Kunden auf dem Frisierstuhl von Filipo Cariddi, dem Barbier aus Kalabrien. Damals Anfang der 60er Jahre wollte er eigentlich nur seinen Bruder in Waiblingen - ein Gastarbeiter der ersten Stunde - besuchen. Aus dem für wenige Wochen geplanten Aufenthalt im Remstal wurden Jahrzehnte. Der Mann mit der flinken Schere - eine Institution in der Schorndorfer Höllgasse - hat in Palmi, seiner Heimatstadt, eine Friseurlehre absolviert. Nur wenige Wochen hat er zunächst einen Job als Hilfsarbeiter angenommen. Kurz darauf bekam er eine Anstellung im einstigen Herrensalon Böhringer. 1972 machte er seine Meisterprüfung. Vor über 40 Jahren hat er das Friseurgeschäft dann übernommen. Ist er nun ein italienischer Schorndorfer oder ein schwäbischer Italiener? Beides stimmt je zur Hälfte, sagt er mit seinem nicht immer leicht zu verstehen Akzent und verschmitzt grinsend. Wer ihn kennt, hat sich daran gewöhnt, dass Filipo seine sprachliche Holprigkeit zu seiner ganz persönlichen Note erhöht. Wenn er Worte verdreht, dann lacht er herzhaft ob seiner sprachlichen Fehler. Mit viel Mimik und Gestik hat er sich am Anfang im fremden Land verständlich gemacht, am Stammtisch Freundschaften geschlossen und seine Klientel erweitert. "Mit den Schwaben habe ich mich immer gut verstanden," sagt der leidenschaftliche Hobbykoch italienischer Köstlichkeiten. "Eigentlich war ich nie wirklich ein Gastarbeiter, ich war hier immer zu Hause." Im Salon von Filipo wird beim Kürzen von Männerschöpfen gern diskutiert - über Fußball und Politik. Und natürlich wird zum Argumentationsaustausch ein Espresso oder auch mal ein Vino rosso gereicht.



"Von Schorndorf bringt mich niemand mehr weg"

Im Alter von gerade 16 Jahren kam die heute 61-jährige Eleni Simos nach Schorndorf. Aufgewachsen ist sie in Orestias, einer Stadt in Nordgriechenland. Sie arbeitete als Kettlerin bei der früheren Firma Kübler. Dort hat sie auch gewohnt. "Die Zimmer wurden mit Gardinen abgeteilt." Deutsch habe sie von ihren Kolleginnen gelernt. Sie habe viel gearbeitet. "Für Heimweh hatte ich gar keine Zeit." Für ihren späteren Ehemann, der bereits zwei Jahre vorher als Gastarbeiter nach Schorndorf kam und bei Bauknecht arbeitete, waren die ersten Tage ein Schock. "In meinem Vertrag stand, dass wir zu zweit ein Zimmer bekommen, wir waren aber zu acht." So hatte sich Georgios Simos seine Zukunft nicht vorgestellt. Das aber gehört der Vergangenheit an. Das Ehepaar ist längst heimisch geworden. Mittlerweile haben sie drei Enkelkinder. "Von Schorndorf bringt mich niemand mehr weg," sagt Eleni Simos. Vor 18 Jahren hat sich die gelernte Schneiderin mit einer Änderungsschneiderei selbstständig gemacht. Ihre kleinen Räumlichkeiten sind ein wahrer Mikrokosmos - hier trifft man sich zum Gedankenaustausch, teilt die Sorgen des Alltags. An den Wänden hängen viele Bilder und alte Ansichten von Schorndorf. Sie engagiert sich in Vereinen, ist Mitglied im Heimatverein, war Mitinitiatorin vom Tafelladen.

Eleni Simos in ihrer Änderungsschneiderei

Integration heißt für Eleni Simos "sich anpassen, ohne sich aufzugeben, beide Seiten müssen sich akzeptieren." Zweimal im Jahr fährt das Ehepaar in die alte Heimat nach Griechenland. "Dann freue ich mich wieder auf meine Kunden und viele Freunde." Die helfen ihr und ihrem Mann Georgios einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften. Ihr Sohn Mario ist vor einem Jahr an einer schweren Krankheit verstorben. Ihr älterer Sohn Tino, der eine Versicherungsagentur hat, lebt mit seiner Familie im Schorndorfer Ortsteil Schornbach.