Stadtnachricht

100 Jahre NaturFreunde Schorndorf


Archivbilder zeigen die Anfänge der NaturFreunde Schorndorf.

Im Vielvölkerstaat der österreichisch-ungarischen Monarchie gründeten 1895 der Lehrer Georg Schmiedl, der Sensenschmied Alois Rohrauer und der spätere erste Bundeskanzler und erste Bundespräsident Österreichs Dr. Karl Renner den „Touristenverein „Die Naturfreunde“. Im Zeitraum von 1895 bis 1905 entstanden Dutzende, dann bald Hunderte NaturFreunde-Ortsgruppen und ab dem Jahr 1905 schließlich auch im Deutschen Kaiserreich und in der Schweiz. Kurz zusammengefasst lautete deren Programm: „Berg frei!“. Man wollte in der wenigen freien Zeit am Sonntag Fabrikarbeit, Wohnungselend der Industriestädte, Kirche und Wirtshaus hinter sich lassen, um in der Begegnung mit der Natur vom Arbeitstier wieder zum Menschen zu werden.

Hinwendung zur Natur

Gemeinsame Wanderungen.Dieser Hinwendung zur Natur entspricht auf der bürgerlichen Seite der Jugendstil, der die Formen der Natur in die Alltagsgegenstände der Reichen überträgt - ein Reformstil gegenüber der aufkommenden Massenproduktion. Das Bürgertum ist reicher denn je und kann sich solche Eskapaden leisten.

In der Arbeiterbewegung, die auch nach dem Fall des Sozialistengesetzes hart vom Staat als Umsturzbewegung bekämpft wird, werden die NaturFreunde zu einem Teil der proletarischen Gegenkultur. Dabei sind die „Blümchenpflücker“ dort nicht überall gerne gesehen. Immerhin könnten sie die Proletarier doch auch von wichtiger Parteiarbeit, vom Klassenkampf abhalten.

Andererseits organisieren die NaturFreunde bald Massenwanderungen in Gebiete, deren Betreten durch Privilegien hoher Herrschaften verboten ist. Ihre Wanderungen sind zugleich politische Demonstrationen für das freie Wegerecht aller Menschen. Die Idee der Gründer ist die des klassischen Arbeiterbildungsvereins, das Ziel ist der neue Mensch, der sich selbst in Solidarität mit seinen Brüdern und Schwestern aus der Unmündigkeit befreit.

Selbsthilfeorganisation

Klare Haltung zeigen.Für den Freizeitbereich stellen die NaturFreunde nicht nur Forderungen auf, sondern sie fungieren als Selbsthilfeorganisation: Mit den Naturfreundehäusern schaffen sie sich eigene Stützpunkte. Diese liegen meist in reizvoller Naturlage, sind durch Polizei schlecht zu überwachen, bieten Möglichkeiten für eine Mischung aus Naturerlebnis, Geselligkeit, Bildung und Politik. Krieg und Revolution ziehen auch die NaturFreunde in Mitleidenschaft und führen zu Mitgliederverlusten. Aber in der Weimarer Republik bieten das Erkämpfen von Achtstundentag, freiem Zugang zur Natur und bezahltem Urlaub ganz neue Perspektiven.

In den Zwanziger Jahren entsteht in den Naturfreundehäusern eine Art eigene Volkshochschule. Es bilden sich Fachgruppen, die zum Beispiel Fotokurse anbieten und entsprechende technische Einrichtungen zur gemeinsamen Nutzung anbieten. Auch im Wintersport und beim Bergsteigen bieten NaturFreunde Einstiegsmöglichkeiten für Facharbeiter, um Natursport betreiben zu können. Naturkunde wird groß geschrieben, Sammlungen werden angelegt, Regeln zum Naturschutz gibt sich der „Touristenverein“ von Anfang an. Auch der Gedanke der Nachhaltigkeit wird früh aufgegriffen. Lange Zeit wusste man in Schorndorf nicht, wann sich die Naturfreundegruppe gründete. Als die SPD Schorndorf ihrerseits 1991 ihr 100-jähriges Jubiläum vorbereitete, stießen sie dabei auf die Gründungsurkunde der Naturfreunde Schorndorf im Staatsarchiv vom 21. Februar 1920. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg war die soziale Situation auch in Schorndorf katastrophal. Wohnungsnot, Mangel an Nahrungsmitteln, hohe Preise für das wenige Essen führten im März 1919 noch zu Generalstreiks. Der erste Obmann Otto Güldner lud die Bevölkerung zu einer öffentlichen Gründungsfeier am 5. April 1920 in die Künkelinhalle. Die Wanderbücher von 1921 an berichten über die vielen Wanderungen im nahen Umfeld von Schorndorf, aber auch von Vorträgen, von Bildungsarbeit im engsten Sinne.

Kindergruppenarbeit

Damals wie später in den 80er Jahren stand die Kindergruppenarbeit ganz vorne an. Umweltschutz, sanfter Tourismus, Natursport und Kultur sind auch heute die Pfeiler der NaturFreunde in mehr als 20 Ländern mit mehr als 1.000 Naturfreundehäusern, insbesondere in Deutschland, Österreich und der Schweiz, aber auch in Frankreich, Holland, Belgien, den USA, Ghana, Tansania, Großbritannien, Madeira und weiteren Landesverbänden.

In Schorndorf führte die „Junge Familie“ zu einem starken Mitgliederwachsen Mitte der 90er-Jahre. Wanderungen mit Kindern, Bergtouren, Städtetouren, Hütten- und Familienskifreizeiten standen im Vordergrund. Große Kulturveranstaltungen in der Künkelinhalle wie zum Beispiel Auftritte von Hannes Wader, Christoph Sieber, Georg Schramm, HG Butzko oder Lesungen mit Norbert Walter-Borjans boten die Ortsgruppe einer großen Öffentlichkeit an. Seit 2000 gab es das „Internationale NaturFreunde-Volleyballturnier mit Teams aus den Partnerstädten Kahla, Dueville und Tulle. Natursport wie Mountainbiken und Skitouren sind bis heute wichtiger Bestandteil des Schorndorfer Programms.

Maßnahmen im Umweltschutz und gesellschaftspolitische Vorträge sowie politische Aktionen sind typische Angebote der Gruppe in Schorndorf, ebenso die Aufrechterhaltung der Erinnerungskultur durch das Verlegen von „Stolpersteinen“ für Schorndorfer, die von den Nazis ermordet wurden. „Diese Vielfalt unterscheidet uns von vielen anderen Naturschutzverbänden in Deutschland. Unser Leitbild ist die Nachhaltigkeit, die Vielfalt der Natur zu erhalten und zu schützen. Für die Natur und in der Natur, für Mensch und Tier gleichermaßen. Sanfter Tourismus anstelle von Massentourismus. Beschäftigung mit Kultur und geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Eintreten für Frieden, Völkerfreundschaft und Völkerverständigung“, so der dreizehnte Vorsitzende Klaus Reuster.

DVD erhältlich

100 Jahre NaturFreunde Schorndorf gibt es auch auf DVD. In knapp einer dreiviertel Stunde gibt es Einblicke in 100 Jahre Engagement in Schorndorf und der Welt. Informationen zur DVD und den NaturFreunden finden sich unter www.naturfreunde-schorndorf.de.