Stadtnachricht

„Irgendwann wird es vielleicht besser“


Der Stolperstein für Ludwig Guttenberger.

Vor 76 Jahren kam Ludwig Guttenberger auf dem ehemaligen Luxusdampfer „Cap Arcona“ ums Leben. Damit ist er eines der Opfer zahlreicher NS-Verbrechen. Ludwig Guttenberger wohnte in der Römmelgasse 8 in Schorndorf, bevor er deportiert wurde. Am Montag wurde ein Stolperstein vor seinem ehemaligen Wohnhaus verlegt. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, zitiert der Künstler Gunter Demnig den Talmud - eines der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums. Auf den Stolpersteinen stehen die Namen und Daten von deportierten und ermordeten Menschen. Der Kölner Künstler Gunter Demnig entwickelte das Projekt mit den quadratischen Messingsteinen vor mehr als zwei Jahrzehnten, um unsere Gesellschaft zu mahnen und zu erinnern. Die Stolpersteine rücken das Schicksal der Opfer des nationalsozialistischen Terrorregimes in den Kontext des Ortes, an dem sie gelebt haben.

Klaus Reuster verlegt den Stein.Bereits im Jahr 2008 wurde auf Initiative der NaturFreunde Schorndorf e.V. die ersten Stolpersteine in Schorndorf verlegt. Die NaturFreunde gründeten sich aus einer Bewegung heraus, die gegen die Machtübernahme Adolf Hitlers kämpfte. Sie wurden verboten und viele ihrer Mitglieder in Konzentrationslager deportiert. Seitdem engagieren sie sich für die Verlegung der Stolpersteine. Oberbürgermeister Matthias Klopfer beschreibt die Steine als beeindruckendes Mahnmal: „In Schorndorf erinnern bereits zwölf Stolpersteine den Opfern grausamer Taten des Nationalsozialismus. Rassismus, politische Hetze oder Homosexualität waren Gründe, weshalb diese Schorndorferinnen und Schorndorfer unerträgliches Leid erfahren mussten. Erinnern wir uns an Karl Eckstein, Elsa Heinrich, Karl Hottmann, Albert Kohler, Heinrich Talmon-Groß und die Familie Guttenberger.“ Dies sind die Namen von Schorndorfer Bürgerinnen und Bürger, die Opfer von NS-Verbrechen wurden. Klopfer appelliert, diese Stolpersteine als Aufforderung zu sehen, Haltung zu zeigen und den Menschen, die auch heute noch Anfeindungen ausgesetzt sind, die Hand zu reichen.

Die Familiengeschichte

Die Geschichte der Familie Guttenberger wurde von Eberhard Abele recherchiert und aufgearbeitet. Bereits seit 2008 erinnern Stolpersteine in der Römmelgasse 8 an Mitglieder der Familie. Abeles Beharrlichkeit ist der Grund, warum nun einige Jahre später auch der letzte Stolperstein für die Familie Guttenberger verlegt werden konnte. Im Jahr 1935 zogen Anton Guttenberger und seine Frau Johanne mit ihren Kindern in die Römmelgasse 8 nach Schorndorf. Ludwig kam im März 1920 auf die Welt. Er spielte Violine und Bratsche und war im Jahr 1939 für kurze Zeit Mitglied der Reichsmusikkammer. Wenn man Ludwig fragte, welchen Beruf er nachging, antwortete er: „Ich bin Musiker“. Doch sein Traum endete, als er im Dezember 1939 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen wurde für den Bau einer Autobahn. Im Jahr 1940 war Ludwig einige Monate Mitglied der Wehrmacht, bevor er aus rassischen Gründen wieder entlassen wurde.

Die Familie Guttenberger hatte ihr ganzes Leben mit Ausgrenzung zu kämpfen. Im Januar 1936 wurden die Bestimmungen der „Nürnberger Rassengesetze“ auch auf die Sinti und Roma angewandt. Daraufhin sollte die Familie untersucht, vermessen und befragt werden. Diese Untersuchung - die Messung der Länge der Ohrläppchen - diente der Erfassung der Sinti und Roma und war die Grundlage für deren spätere Verschleppung und Ermordung. Im Dezember 1942 befahl Himmler mit seinem „Auschwitz-Erlass“ den Massenmord an Sinti und Roma. Ein Jahr später wurden daraufhin mehrere Mitglieder der Familie Guttenberger von den Nationalsozialisten aufgrund des Vorwurfes, sie würden von Sinti abstammen, in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Ab März 1943 war Ludwig Guttenberger auf der Flucht. Er wurde im Juni verhaftet, kam jedoch überraschend frei. Erneut verhaftet wurde er im Oktober. Darauf folgte sein Aufenthalt im KZ Auschwitz, die Verlegung 1944 ins KZ Ravensbrück, bevor er in das KZ Bergen-Belsen kam. Die weitere Recherche über Ludwigs Lebens- und Leidensweg musste laut Abele durch Zeitzeugen nachvollzogen werden. Nach der Räumung des KZ Bergen-Belsen wurden die Häftlinge auf einen ehemaligen Luxusdampfer gebracht. Am 3. Mai 1945, versenkten Briten die „Cap Arcona“ in der Lübecker Bucht. Sie vermuteten darauf deutsche Truppen - ein Irrtum: An Bord waren 7.500 KZ-Häftlinge. Darunter auch Ludwig Guttenberger.

Der Stolperstein

Im Anschluss an die Ausführungen Abeles zu Ludwig Guttenbergs leidvollem Leben spielt Heiner Kammerer ein Stück von Beethoven auf dem Cello und wird von Iris Adloff-Abele auf der Querflöte begleitet. Bereits sieben Stolpersteine der Familie Guttenberger sind in der Römmelgasse 8 verlegt. Im Jahr 2008 fünf und ein Jahr später zwei weitere. 2009 wurde ein Platzhalter-Stein in das Feld betoniert. Dort findet nun der Stolperstein für Ludwig Guttenberger seinen Platz.

Während der Verlegung blickt man in betroffene, trauernde, aber doch hoffnungsvolle Gesichter. Der Stolperstein werde gesetzt, damit wir uns erinnern, gedenken und trauern. Aber auch als Mahnmal gegen Rassismus und Intoleranz: „Es ist die Aufgabe unserer Gesellschaft und die Aufgabe eines jeden Einzelnen von uns, diese Taten und diesen Terror nie wieder zuzulassen“, so Oberbürgermeister Matthias Klopfer.

Die Angehörigen der Familie Guttenberg werden auch heute noch tagtäglich mit Rassismus konfrontiert. Sie sprechen ihren Dank für das Engagement der Stadtverwaltung Schorndorf, Eberhard Abele und Klaus Reuster aus. Es sei etwas Besonderes, wie die Stadt Schorndorf mit dem Thema umgehe, damit die Schicksale nicht in Vergessenheit geraten. Das Ausmaß der Anfeindungen, denen die Familie Guttenberger auch heute noch ausgesetzt sind, wird klar, als ein Nachkomme berichtet, er wache jeden Tag mit dem Gedanken auf: „Heute wird es besser. Heute hört es auf.“ Am Ende des Tages gehe er mit dem Gedanken wieder ins Bett: „Vielleicht nicht heute. Vielleicht wird es irgendwann besser.“ Doch die Hoffnung geben die Betroffenen nicht auf: „Wir wünschen uns, dass Menschen anfangen, würdevoll auf uns zuzugehen. Denn wir können verzeihen.“

Inzwischen liegen in circa 1.200 Orten und 20 Ländern Europas Stolpersteine. In Schorndorf werden im September weitere Stolpersteine für Albert Krautter in der Aichenbachstraße 45 und für Paul Diebel in der Schillerstraße 74 verlegt. Beide Männer wurden wegen ihres politischen Engagements und ihrer Überzeugung ermordet.