Die neue Stadtbibliothek
„Wenn ein Kind lesen gelernt hat und gerne liest, entdeckt und erobert es eine zweite Welt, das Reich der Buchstaben. Das Land des Lesens ist ein geheimnisvoller, unendlicher Erdteil. Aus Druckerschwärze entstehen Dinge, Menschen, Geister und Götter, die man sonst nicht sehen könnte“, schreibt Erich Kästner in seinem autobiografischen Kinderbuch „Als ich ein kleiner Junge war“.
Manche Kinder können es gar nicht erwarten, das Geheimnis der Schrift zu entdecken. Für andere Kinder ist der Prozess des Lesenlernens mühsam und frustrierend. Es braucht Zeit und Übung, bis sie alle Buchstaben des Alphabets beherrschen. Und an die spannenden Geschichten kommt man erst heran, wenn das Lesen flüssig geworden ist und die Worte nicht mehr einzeln entziffert werden müssen. Kindern, denen dies nicht rechtzeitig gelingt, sind mit Problemen im Textverständnis konfrontiert, die ihren Schulerfolg ernsthaft gefährden. Nur wer eine Textaufgabe in Mathematik versteht, kann über deren Lösung nachdenken. Deshalb gilt eine gute Lesefähigkeit als Voraussetzung für Bildungserfolg.
Untersuchungen der Stiftung Lesen ergründen seit Jahren, was Kinder schon vor dem Schuleintritt optimal auf diesen Lernprozess vorbereitet. Die Antwort ist erstaunlich einfach: Vorlesen! Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wird, haben besonders gute Startchancen, so das Ergebnis des sogenannten Vorlesemonitors der Stiftung Lesen. Sie erwerben einen größeren Wortschatz, lernen leichter lesen, sind einfühlsamer und haben in vielen Fächern bessere Schulnoten.
Vorlesen ist also mehr als ein gemütliches Ritual. Umso bedauerlicher, dass 39 Prozent der ein- bis achtjährigen Kindern selten oder nie vorgelesen wird, wie der Vorlesemonitor 2022 ermittelte. Dabei besteht ein Zusammenhang mit den Bildungsvoraussetzungen ihrer Eltern: Laut Studie liest mehr als die Hälfte der Eltern mit formal geringer Bildung ihren Kindern selten bis nie vor.
An dieser Stelle kommt die Stadtbibliothek ins Spiel. Sie verleiht kostenfrei Kinderbücher. Ihre Leseförderung setzt bereits im Vorschulalter an. Sie hat Familien als wichtigste Hauptzielgruppe, gleich gefolgt von Erzieherinnen und Lehrkräften.
Zusammen mit Kindertageseinrichtungen und Elternhaus erreicht sie einen hohen Wirkungsgrad. Im Sinne der Chancen- und Bildungsgerechtigkeit spricht die Stadtbibliothek die Kinder bevorzugt im Kontext der ganzen Klasse oder Kindergartengruppe an. Zentrales Element der Kooperation sind altersgerechte Einführungen und Veranstaltungen.
Lehrkräfte und Erzieherinnen finden einen ausgebauten Bestand pädagogischer Fachliteratur und werden mit Medienkisten im Bereich Sachkunde und Leseförderung unterstützt. In der Kinderbibliothek vermitteln die Mitarbeiterinnen Spaß am Zuhören und Verstehen mit Lese-Veranstaltungen wie dem Bilderbuchkino, Vorlesestunden und Kamishibai-Bildkarten. Regelmäßige Besuche mit der Kita-Gruppe etablieren die Stadtbibliothek bei den Kindern als motivierenden Leseort.
Im Rahmen des Projektes „Mit Nelli Spürnase durchs Alphabet“ lädt sie die Schorndorfer Kindergartengruppen im letzten Kindergartenjahr zu einem Besuch ein, in dessen Rahmen die Kinder neben der Kinderabteilung auch das ABC erkunden. Leseförderung für Kinder ist also heute schon eine große Stärke der Stadtbücherei. Diese soll im neuen Haus mit besseren Rahmenbedingungen ausgebaut werden.
Heute sind alle 13.000 Kinder- und Jugendbücher auf knapp 100 Quadratmetern untergebracht. Am neuen Standort wird die Kinderabteilung in den beiden Dachgeschossen eingerichtet.
Hinzu kommt ein separater Jugendbereich im Obergeschoss. Bücher können ihre Wirkung grundsätzlich in jeder Umgebung entfalten. In modernem und zeitgemäßem Ambiente wirken sie aber selbstverständlich attraktiver.
Wenn die neue Bibliothek ein Ort ist, an dem sich für Kinder und ihre Eltern neue Welten erschließen, motiviert dies Familien zum regelmäßigen Besuch.
In diesem Sinne wird frühe und niederschwellige Bildungsförderung in der neuen Kinderbibliothek zum Kinderspiel.