Fliegenhof

von Roland Buggle

Ein untergegangener Waldsiedlerhof und seine Grenzversteinung

Sein Name hat sich noch in der Bezeichnung Fliegenbachtal erhalten. Dieses zieht sich, von Unterberkener Markung aus, zwischen Asperwald und Stärrenberg hinaus ins Nassachtal. Etwa in der Mitte, dort wo der Utzenbach einmündet, befindet sich das Zentrum des historischen Hofgebiets und auch der ehemalige Standort des Bauernhauses mit Stall und Scheune. Die Gebäude wurden durch marodierende Soldaten um 1630 eingeäschert und nie wieder aufgebaut.

Grenzstein an der Linsenhäulesklinge: Markanter Stein. Er steht auf der früheren Grenze zwischen Ober- und Unterberkener Markung. Der stilisierte Abtstab weist auf ehemaligen Klosterbesitz hin.Der Hüttmeister Michael Glaser (Greiner) aus Nassach-Baiereck betrieb an dieser Stelle Ende des 15. Jh. eine Glashütte, die „mittel glaß Hut“, wie es 1477 in alten Dokumenten heißt. Anno 1524 wird dann an dieser Stelle ein Hof genannt, der dem Hüttmeister Christian Greiner gehört und von einem „Fliegenpaur“ bewirtschaftet wird. Offenbar war die Glashütte dort nicht mehr rentabel gewesen.

Bereits 1535 verkauft Chr. Greiner diesen Hof an Jörg Lindenschmidt von Rattenharz um 220 Gulden. Dessen Erben wiederum veräußerten diesen Hof um 1590 an die Verwalter des Klosters Adelberg (Aristoteles Engelhardt und Jacob Schropp) um 750 Gulden. Nachdem der Hof bis 1613 durch einen Maier bewirtschaftet worden war, verkaufte das Kloster den Hof um 1000 Gulden an den Sohn Jörg des einstigen Besitzers Jörg Lindenschmidt. Offenbar war der Hof nicht sehr ertragreich und so übergibt ihn Jörg Lindenschmidt anno 1623, „da er selbst kinderlos und sich wegen deß damahls angefangenen Krieges“ in der Abgeschiedenheit des Fliegenbachs nicht mehr wohl fühlt, (samt Schulden) zur ewigen Pfründ an den Schorndorfer Spital und zieht dort ein.

Der verlassene Ort wirkt unheimlich auf die Menschen und so entsteht (ca.1630 bis 1640) die Sage von einer schaurigen Begegnung des Schulmeisters von Oberberken mit dem Schwarzen Mann.

F 219 Grenzstein No.19 1⁄2, spätere Nummerierung 219: Ein großer markanter Stein. Er steht nach Repara- tur wieder aufrecht im Gewann Stärrenberg. Schön sieht man die „Krinne“ oder „Weisung“; die Rich- tung des (geraden) Grenzverlaufs ist als Kerbe im KopAus dem Lagerbuch des Spitals von 1708 (Stadtarchiv Schorndorf) erfahren wir, dass der Hof aus „einem Hauß, Hofraitin. Schewren, Gartten und ohngefährlich fünfzehn Tagwerkh Wüsen und dann ohngefähr fünfzig Morgen Holtz, alles aneinander, inmasen es in allen Orthen verstaint ist zwischen der Herrschaft Württemberg Wälder, genannt Sterrenberg und der Gläserhau, beederseits gelegen, oben wieder an hoch ermelter Herrschaft Waldt und auf Michael Greiners Wüsen stoßendt“ besteht.

Es ist aber hiebey zu wissen, daß in dem dreyßigjährigen Krieg vornehmlich nach der Nördlinger Schlacht Anno Tausend Sechshundert Dreyßig und Vier erfolgten feindlichen Invasion nebst hierbey anderen auch dießer Fliegenhof in die Aschen gelegt und daher ja seithere noch nicht wieder erbaut, sind die Äckher und Wüßen dermaßen verwildert, daß der mehiste Thail davon völlig zu einem Wald überwaxen und dato bey eingenommenen Augenschein und gebrauchtem maß nicht mehr als dreyßig sieben und einen halben Morgen Wüßen nutz- und niesbar erfunden ...“

Grenzstein N13 oder spätere Nummerierung 149: Dieser schöne, schon etwas eingeschwemmte Stein markiert im Verlauf die östliche Ecke, wo die Gren- ze vom Utzenbachtal hangaufwärts zum Asper- wald verläuft. Er wurde 1735 bei der Renovation neu gesetzt und hWeiter erfahren wir hier auch, dass anno 1704 eine Renovation der Grenzversteinung stattgefunden hat. Aus alten Karten geht hervor, dass einst auch ein Weinberg am Asperwaldhang betrieben wurde.
Der Stadtgeometer und Untergänger von Schorndorf Eidenbenz fertigte anno 1770 erneut eine Grenzbeschreibung dieses und auch des Baierecker Spitalhofs. Anno 1826 erscheint dann im Lagerbuch des Spitals wieder eine Beschreibung des Fliegenhofs mit Angaben über die zu entrichtenden Abgaben. Aus den Gütern sind an die Kellerei Schorndorf (später Kameralamt) 28 Kreuzer und 2 1⁄2 Schilling, an die Kellerei Göppingen für den Platz, worauf die Scheuer gestanden,15 Kreuzer zu bezahlen. Auch für den Bach als Fischwasser waren 2 fl. zu bezahlen.

Der Spital war offenbar nie recht glücklich mit dem Besitz des Fliegenhofs. Die Bewirtschaftung der abgelegenen Güter war umständlich und der Ertrag aus den steilen Talhängen nicht hoch. So betrug z.B. 1630 der ganze Haferertrag 13 Scheffel und 1 Simri.*)

Später war die ganze Hoffläche wie bis dato komplett überwaldet. Mit der Auflösung des Spitalvermögens am 10. Jan.1924 hörte der Fliegenhof auf zu existieren. Heute ist das Areal ganz im staatlichem Forstbesitz. Seine Grenzversteinung wurde vernachlässigt und verfiel. In den Jahren 2008 bis 2013 wurde sie durch private Initiative mit Wohlwollen der Forstverwaltung wieder hergerichtet. So kann der Interessierte heute wieder im Wald die alten Hofgrenzen erkunden.

Die Sage vom Schwarzen Mann vom Fliegenhof

Zu Oberberkheim Adelberger Closter Ampts; allda hat sich folgende Begebenheit zugetragen: Der Schuhlmeister bemeldten Orths gienge auff Underhütt zu seinem Sohn auch Schuhlmeister in die Schuhl, auff Befehlen seines Herrn Pfarrers, um zu sehen, was passire, da hab er mit den Kindern gebettet, und das Communicanten Büchlin gefragt, darauff gieng er wider in Gottes Nahmen anheim, den Fliegenhoff hinauf, da seye ihme oberhalb des Kellers ein kohlschwartzer Mann auffgestoßen, der keine Füß gehabt habe, und habe ihn bei seinem lincken Arm genommen, zu ihm sprechend. Wann du nimmer in die Schuhl und Kirchen gehen und betten wilst, so will ich dir helffen, daß Dirs geholffen seyn wird, worüber ihme Angst und Zittern angekommen, und gleich replicirte, das thue ich nicht, da habe ihm ein Luft ins Gesicht geweht, und gleich darauff konte er kein Wort mehr reden; da habe er in seinem Hertzen gedacht (wie er dieses hernach schriftlich von sich gegeben): Weicht nächtliche Gedanken hin, wo ihr habt euren Lautt. Ich baue jetzt mit meinem Sinn Gott einen Teumpel auff, und: Soll diese Nacht die letzte seyn in diesem Jammertal und ferner: weil du mein Gott und Vatter bist, dein Kind wirstu verlaßen nicht, über welches der schwartze Mann von ihme gewichen. Alßdann seye er in Angst und Zittern 50 Schritt weith fortgegangen, da seye ein klein weiß Männlein, so groß wie ein 6 oder 7 jährig Kind zu ihme gekommen, und hab zu ihme gesprochen: fahret Ihr so fort mit Eurem Schulbetten und Kirchengehen, so wird Euch Gott doch erhalten und Euch seegnen, daß Ihr ein seeliger Mann werdet und alt, sezet Euch zu mir her; aber auß Angst sey er nicht hingeseßen, da er nun nicht sitzen woltte, so habe er gesprochen, so kommt in 4 Wochen wieder hieher, so solt Ihr Euer Sprach wider haben, seye dann in Angst und großem Schrecken den hinauffgegangen, und das weiße Männlein 92 Schritt weit ihm nachgefolget, welches durch den Hl. Verwalter und Hl. Pfarrer, auch Michael Nagel abgeschritten worden, welche in dem Schnee seine Tritt gesehen, aber sonst keine. So geschehen deß Abends zwischen 4 und 5 Uhr. Und zu Oberberckhen habe er hören die Türckhen Glocken leuten, da habe er auß Forcht und Angst gemeynt, er seye im Himmel.

Die Nachricht über diese Sage verdanke ich Herrn Dr. U. J. Wandel. Sie findet sich in einer handschriftlichen Chronik der Stadt Göppingen vom Jahre 1647. Zu der mutmaßlichen Entstehungszeit gibt es folgende Überlegungen: 1623 übergab Jörg Lindenschmidt den Hof an den Schorndorfer Spital zu einer „reichen Pfründ“. Alten Dokumenten zufolge soll der Hof anno 1630 in Asche gelegt worden sein. Die Göppinger Chronik endet anno 1647 mit der Sage, also muss sie um die Zeit oder etwas früher niedergeschrieben worden sein. Frühestens kann sie also entstanden sein, als Gebäude und Keller schon Ruinen waren und bestimmt als unheimlicher Ort in dem einsamen Waldtal gegolten haben. Von da her darf man annehmen, dass die Sage etwa um 1630 bis 1640 von den Menschen in Berken und sicher auch im Nassachtal erzählt wurde.

Von Gebäuden und Keller des Fliegenhofs ist heutzutage nichts mehr sichtbar. Aber es gibt im Hang hinter dem Wohnplatz – etwa in rechtwinkliger Verlängerung zum Nagel-Brückle – einen noch sichtbaren Einschnitt, der durchaus den ehemaligen Kellerplatz darstellen könnte.

Ergänzungen zur Kurzchronik

Hier in dieser Talweite, bei der Utzenbach-Einmündung, liegt seit dem 15ten Jhdt. der Platz des Fliegenhofs. Etwa 100 m westlich von diesem Brünnlein stand das Wohnhaus, die Scheune und das Stallgebäude. Auf einem alten Plan von 1743 sind die ehemaligen Gebäude-Standorte und die umliegenden Ackerflächen eingezeichnet.

Eigentlich hat nur der uralte Name des Bächleins und des zugehörigen Tales die Erinnerung an den einstigen, aus einer Glashütte hervorgegangenen, Waldsiedelhof wachgehalten. Sichtbare eindeutige Überbleibsel sind nicht mehr vorhanden. Nur alte Lagerbücher geben noch Auskunft.
Die Grenzversteinung des Hofareals ist seit ungefähr 100 Jahren vernachlässigt; weil sie nicht mehr benötigt wurde, nachdem das Hofgelände in den Staatsforst übergegangen war. Lediglich das Stück das gleichzeitig Markungsgrenze zwischen Ober- und Unterberken ist, erfuhr noch bis zur Zeit der beginnenden Gemeindereform (1969) eine leidliche Pflege. Die wieder hergerichtete Umsteinung erinnert an den historischen Siedelplatz und ermöglicht dem Interessierten mit etwas Engagement, die Vielfalt der Grenzsteine anzusehen und die alte Hofkontur nachzuvollziehen und sich so ein Bild von der wirtschaftlich wenig einträglichen Lage des historischen Hofplatzes in dem zerfurchten Gelände zu machen.
Das Wissen in der Gemeinde Berken um den ehemaligen Hof blieb über die Jahrhunderte nur vage vorhanden, lag er doch in einiger Entfernung in einem früher weglosen und sehr schlecht zugänglichen einsamen Waldtal. Und so nimmt es nicht Wunder, dass man vor 350 Jahren den verlassenen Ort mit den Gebäuderuinen mit Gruseln passierte und sich darüber eine Sage im Volk verbreitete: 
 
Oberberckheim, Adelberger Closter Ambts
„Allda hat sich folgende Begebenheit zugetragen: Der Schuhlmeister bemeldten Orths gienge auff Underhütt zu seinem Sohne auch Schuehlmeister in die Schuhl, auff Befehlen seines Herrn Pfarrers, um zu sehen, was passire, da hab er mit den Kindern gebettet, und das Communicanten Büchlin gefragt, darauff gieng er wider in Gottes Nahmen anheim, den Fliegenhoff hinauff, da seyn ihme oberhalb des Kellers ein kohlschwartzer Mann auffgestoßen, der keine Füß gehabt habe, und habe ihn bey seinem lincken Arm genommen, zu ihm sprechend. Wann Du nimmer in die Schuhl und Kirchen gehen und betten wilst, so will ich dir helffen, daß Dirs geholffen seyn wird; worüber ihme Angst und Zittern angekommen, und gleich replicirte, das thue ich nicht, da habe ihm ein Luft ins Gesicht geweht, und gleich darauff konte er kein Wort mehr reden; da habe er in seinem Hertzen gedacht (wie dieses hernach alles schriftlich von sich gegeben): Weicht nächtige Gedanken hin, wo ihr habt euren Lautt. Ich baue jetzt mit meinem Sinn Gott einen Teumpel auff, und: Soll diese nacht die letzte seyn in diesem Jammerthal und ferner: weil du mein Gott und Vatter bist, dein Kind wirstu verlaßen nicht, über welches der schwartze Mann von ihme gewichen. Alßdann seye er in Angst und Zittern 50 Schritt weith fortgegangen, da seye ein klein weiß Männlein, so groß wie ein 6 oder 7jährig Kind zu ihme gekommen, und hab zu ihme gesprchen: fahret Ihr so fort mit Eurem Schulbett und Kirchengehen, so wird Euch Gott doch erhalten und Euch seegnen, daß Ihr ein seeliger Mann werdet und alt, sezet Euch zu mir her, aber auß Angst sey er nicht hingeseßen, da er nun nicht sitzen woltte, so habe er gesprochen, so kommt in 4 Wochen wieder hieher, so solt Ihr Euer Sprach wider haben, seye dann in Angst und großem Schrecken den hinauffgegangen, und das weiße Männlein 92 Schritt weit ihm nachgefolget, welches durch Hl. Verwalter und Hl. Pfarrer, auch Michael Nagel abgeschritten worden, welche in dem Schnee seine Tritt gesehen, aber sonst keine. So geschehen deß Abends zwischen 4 und 5 Uhr. Und zu Oberberckhen habe er hören die Türckhen Glocken leuten, da habe er auß Forcht und Angst gemeynt, er seye im Himmel“.

 
Der einsame Ort mit den verfallenen Gebäuden und dem Kellerloch muss wohl lange Zeit für die Bevölkerung ein unheimlicher Ort gewesen sein, was natürlich leicht zu Schauergeschichten anregt.
Der in der Sage zitierte Keller existiert heute nicht mehr, aber es gibt am dortigen Hang einen Einschnitt, der durchaus der Kellerplatz bzw. dessen Eingang gewesen sein könnte. Es finden sich heutzutage von den Gebäuden die noch in Plänen von 1710 und 1743 eingetragen sind, keine sichtbaren Reste mehr.

Anm.: Die Sage entstammt einer handschriftlichen Chronik der Stadt Göppingen die um die Zeit 1647 endet. Dr. Hermann Rumpp hat sie daraus transskribiert und 1994 im Hist. Jahrbuch für den Kreis Göppingen Band 4 veröffentlicht.
Wenn man sich auf der Bank bei der Utzenbachbrücke niederlässt, freut man sich an dem Geplätscher des Wasserstrahls den die steinerne Forelle des nahen Brunnenschilds erzeugt. Leider verrät keine Info -Tafel etwas über diesen hübschen Brunnen, von dem Kundige wissen, dass er noch zwei gleichaussehende Brüder hat;

Um das Jahr 1903 hat man für die Kommunen Uhingen und die des Nassachtals eine Trinkwasser- Versorgung aufgebaut und zu diesem Zweck in den 3 Seitentälern der Nassach; nämlich dem (Schlichtener)  Herrenbachtal, dem Fliegenbachtal und dem Bärenbachtal (Bärentobel) die Quellen für die Trinkwasserverssorgung gefasst.

Bei dieser Gelegenheit wurden dann auch die 3 Laufbrunnen in der Nähe der Fassungen angelegt.