Die frisch gedruckten "Heimatblätter 23" werden vorgestellt
19.11.2009
Am kommenden Sonntag wird das 25jährige Jubiläum der Stiftung Barbara-Künkelin-Preis Schorndorf feierlich begangen, es werden die "Heimatblätter 23" offiziell herausgegeben und die Ausstellung über den Künstler Werner Diez eröffnet. Beginn der öffentlichen Veranstaltung am 22. November ist um 11 Uhr im Alten Rathaus am Marktplatz.
Die Heimatblätter befassen sich in dieser Ausgabe mit vielfältigen Themen: mit aktuellen und historischen Beiträgen sowie Abhandlungen über Personen.
"Wir sind das Volk" und "die Mauer muss weg", so tönte es 1989 aus vielen Städten in Ostdeutschland - auch aus Kahla, Schorndorfs Partnerstadt in Thüringen.
Wir feiern dieses Jahr das 20jährige Bestehen der deutschen Einheit. Bernd Leube, der Bürgermeister von Kahla, erinnert an den Herbst 1989, als sich die Ereignisse in der ehemaligen DDR überstürzten. Der Beitrag handelt vom Ende der DDR und beschreibt in ergreifender Weise, wie die Menschen die deutsche Einheit erkämpft haben. "Nur gut, dass die Panzer nicht gekommen sind!", meinte ein Mitstreiter Bernd Leubes aus der Wendezeit. Möglich war dieser friedliche Verlauf der Revolution wohl nur vor dem Hintergrund von Gorbatschow und seiner Perestroika.
Die Vorsitzende des Preisgerichts der Stiftung Barbara-Künkelin-Preis Schorndorf, Elsbeth Rommel, resümiert in ihrem Beitrag über das 25jährige Bestehen des Barbara-Künkelin-Preises, der an Frauen verliehen wird, die gegen den Zeitgeist und die herrschende Meinung handeln.
Die Laudatio für die Barbara-Künkelin-Preisträgerin 2008, Cerap Çileli, hielt der Integrationsbeautragte der Landesregierung und stellvertretende Ministerpräsident Prof. D. Ulrich Goll. Sein Vortrag über diese Frau, die Tabu-Themen, wie Zwangsheirat und die sogenannten Ehrenmorde in Deutschland öffentlich machte, kann in den diesjährigen Heimatblättern nachgelesen werden.
Dieses Jahr feiert die Malerin Ludovike Simanowiz ihren 250. Geburtstag. "Dabei war es vor allem ein Anliegen, weiblichen Lebensentwürfen und Biografien um 1800, ihren Beschränkungen und auch überraschenden Möglichkeiten, jenseits des Schattens großer Männer - in diesem Falle Schillers - ihr eigenes Recht widerfahren zu lassen", schreibt Thomas Milz. Darum geht es in den Beiträgen von Prof. Christel Köhle-Hezinger, von Dr. Annette Seewald und Dr. Alexandra Birkert.
Prof. Christel Köhle-Hezinger, Professorin an der Universität Jena, umreißt in ihrem Beitrag die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen - die Herkunft, das Umfeld, kurz die Zugehörigkeit zur württembergischen Ehrbarkeit - von denen Ludovike bestimmt wurde, die sie aber auch konfliktreich in ihrer Jugend durchbrach. Früh übte sie den Spagat zwischen Heimat und Fremde, Herkunft und Welt. Dabei skizziert Christel Köhle-Hezinger die Janusköpfigkeit des württembergischen Pietismus, der sich zwischen Revolution und Anpassung bewegte.
Die Freundin von Schillers Schwester
Mit den weiblichen Netzwerken der Zeit um 1800 beschäftigt sich Dr. Annette Seemann. Dabei stellt sie die lebenslange Freundschaft zwischen Ludovike Simanowiz und Christophine Reinwald, der Schwester Schillers, in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung, wobei die Biografien beider Frauen seltsam gegenläufig erscheinen. Auf der einen Seite die freie Künstlerin, zwar verheiratet, aber dennoch ohne Fesseln, die nach Paris reiste und dort nach Herzenslust malte. Auf der anderen Seite steht die in eine Ehe geflüchtete Dichterschwester. Eine Ehe, die sich in ihrer Enge und Unfreiheit für Christophine fatal auswirken sollte. Drastisch beschreibt Annette Seewald die Verhältnisse im Haus Reinwald: in zehn Jahren Ehe hatte Wilhelm Reinhard seiner Frau kein einziges Kleidungsstück und kein paar Schuhe gekauft, obwohl sie durch Zeichenunterricht die Haushaltskasse nicht unerheblich aufbesserte. Dieses Bild sollte sich im Alter umkehren: Christophine erhält nach dem Tod ihres Mannes ihre Freiheit zurück und kann ein selbstbestimmtes Leben führen. Dagegen tritt die Künstlerin Ludovike nun in den Hintergrund, sie muss Zeichenunterricht geben, um den Lebensunterhalt zu verdienen, und sie pflegt ihren Mann, der seit vielen Jahren krank ist.
Auf die Suche nach den Spuren von Hegels Schwester, Christiane Luise Hegel - einer Zeitgenossin Ludovikes und gebildeten Frau -, begibt sich Dr. Alexandra Birkert. Wenig genug ist von Christiane Luise Hegel bekannt und noch nicht einmal ein Porträt ist von ihr überliefert, obwohl sie zu einer Zeit lebte, als die Porträtkunst ihren Höhepunkt erreichte. 1806 kam die gebürtige Stuttgarterin nach Schorndorf und lebte hier bis 1809 im Schorndorfer Schloss. Sie war die "Gouvernante" der Kinder des Joseph Freiherr von Berlichingen, der hier einige Jahre Festungskommandant war.
Judenvernichtung und Oradour
Der Historiker Dr. Günther Zollmann befasst sich mit dem Antisemitismus und der Judenverfolgung. Dabei hebt er hervor, dass die Judenvernichtung im Nationalsozialismus kein Unfall war, sondern aus einer europäischen christlichen Kultur entsprang, die antijüdisch geprägt war und deren Wurzeln bis ins Mittelalter zurückreichten. Die latente Judenfeindlichkeit ab dem Mittelalter hatte in Altwürttemberg dazu geführt, dass es hier weder Gebetshäuser noch jüdische Gemeinden gab.
Schauplatzwechsel: Oradour. Den Namen kennt fast jedes französische Kind in Frankreich. Und was wissen die deutschen Schulkinder darüber: Fehlanzeige, obwohl das Massaker von Oradour-sur-Glane als eines der größten Verbrechen der Nationalsozialisten gilt, das während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich verübt wurde. Dem Redaktionsbeirat war daher die Veröffentlichung des Beitrags von Robin Völker, der sich mit diesem Thema, auch in einem Zeitzeugengespräch, beschäftigt hat, äußerst wichtig.
Ein neugieriger Reisender
Vor 70 Jahren begann der Zweite Weltkrieg mit seinen verheerenden Auswirkungen.
Über den Krieg im Osten zeigen die Pastelle und Aquarelle von Werner Diez, abgesehen von einigen Motiven mit zerstörten Gebäuden und Brücken, nur wenig. Die Grausamkeit des Krieges wird im Russland-Bilderzyklus von Werner Diez nicht thematisiert. Den Bildern merkt man nicht an, dass der Künstler als feindlicher Soldat nach Russland kam. Mit seinen Bildern präsentiert er sich vielmehr als neugieriger Reisender, der die Schönheit der archaischen russischen Kultur auf seinem Bildern festhielt. Der Künstler porträtierte einfühlsam die russischen Menschen, malte ihre Dörfer und die russische Landschaft. Nichts ist in seinen Bildern von der menschenverachtenden nationalsozialistischen Ideologie zu spüren, die die Russen allesamt als sog. "Untermenschen" deklarierte. " Da er der grauenhaften Kriegsrealität wohl nicht entkommen konnte, da er sah, sehen und miterleben musste, welche Gräuel in Russland geschahen, hat er mit seinen Bildern eine Art Gegenwelt für sich geschaffen," schreibt Frieder Stöckle. Er hat sich damit wohl auch eine Entlastung geschaffen, denn auf seinem Selbstporträt steht ihm der Schrecken des Krieges auf dem Gesicht geschrieben.
Mit dem nachhaltigen Wirtschaften in der Forstwirtschaft, mittlerweile durch die fortschreitenden weltweiten Umweltzerstörungen ein aktuelles wie brisantes Thema, hat sich Dr. Günther Zollmann befasst. Am Ende des 18. Jahrhunderts war der Wald durch ungeregelte und übermäßige Nutzung, so stark verwüstet, dass eine geregelte Forstwirtschaft undenkbar war. Kein Wunder, dass das Buch von Georg Ludwig Hartig (1764 -1837) über nachhaltiges Wirtschaften damals zum Bestseller wurde. Georg Ludwig Hartig, der "Erfinder" des Prinzips der Nachhaltigkeit, ist heute fast vergessen, seine "Erfindung" aber, das nachhaltige Wirtschaften, hat heute an Aktualität nichts eingebüsst.
Engagement für das Gemeinwesen
Mit einem weiteren aktuellen Thema wartet Roland Buggle auf. Im 19. Jahrhundert gab es noch keine Müllabfuhr in den Städten. Aber wer oder was entsorgte damals, was die Menschen nicht wieder verwerten konnten? Roland Buggle ging dieser Frage nach und konnte dem Stadtbach diese wichtige Funktion zuschreiben und seinen Verlauf teilweise rekonstruieren. Dieser spülte den Abfall aus den Straßen der Stadt in die Bäche und Flüsse.
Die Schlussbetrachtungen der Heimatblätter sind einzelnen Personen gewidmet: So Karl Wahl anlässlich seines 100. Geburtstags und dem Ehrenbürger Dr. Werner Lempp anlässlich seines 80. Geburtstags. Trotz unterschiedlicher Viten ist beiden ein großes Engagement für das Gemeinwesen und die Belange der Stadt gemeinsam.
Der Nachruf von Oberbürgermeister Matthias Klopfer auf den kürzlich verstorbenen Stadtrat, Lehrer und virtuosen Saxophonisten Dieter Seelow bildet einen würdigen Abschluss der diesjährigen Heimatblätter. Edith Holzer-Böhm, Stadtarchivarin