Stadtnachricht

Die neue Stadtbibliothek


Beate Meinck, Geschäftsführerin des Landesverbandes Baden-Württemberg im Deutschen Bibliotheksverband e.V.

Beate Meinck ist Geschäftsführerin des Landesverbandes Baden-Württemberg im Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv). Die Diplom-Bibliothekarin leitet hauptamtlich die Stadtbibliothek Reutlingen und fördert mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit im dbv das Verständnis für die Bedeutung und Erfordernisse des Bibliotheks- und Informationswesens.

Frau Meinck, die Rolle öffentlicher Bibliotheken hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Wie würden Sie diesen Wandel beschreiben?

  • Kurz gesagt: Früher standen Medien im Mittelpunkt, heute sind es Menschen. Bibliotheken waren einmal der einzige Ort, an dem man sich umfassend informieren konnte. Das Wissen war vor allem in Büchern gespeichert, die man ausleihen konnte. Heute sieht Informations- und Wissensvermittlung ganz anders aus. Wir lernen gemeinsam, wir erwerben Wissen durch Ausprobieren und im Dialog. Bibliotheken haben einen kulturellen, sozialen, inklusiven, vielfältigen, demokratischen und partizipativen Charakter entwickelt. Sie arbeiten stark vernetzt und fungieren oft als Plattform für andere Initiativen und Akteure im lokalen Umfeld. Oft stellen sie nur den Rahmen zur Verfügung, der dann von anderen Gruppen bespielt wird. Das heutige Aufgabenspektrum bestimmen eigentlich die Nutzerinnen und Nutzer selbst, die sich „ihre“ Bibliotheken zu eigen machen.

Wer besucht denn heute so eine Bibliothek und was erwarten die Menschen?

  • Es gibt ganz wenige Menschen, die nicht irgendwann in ihrem Leben eine Bibliothek brauchen. Schon Kleinkinder erleben Bibliotheken, zusammen mit ihren Eltern bei „Schoßkind-Programmen“ mit Liedern und Geschichten. Kamishibai und Bilderbuchkinos in den Kitas kommen oft aus der lokalen Bibliothek. Geschichten entdecken und darüber reden, fördert den Spracherwerb. Dann folgt die Schulzeit, man lernt lesen. Die Bibliothek ist oft der erste Ort, den Kinder allein erkunden dürfen. Sie ist Lern- und Entdeckungsort und vermittelt Medien- und Informationskompetenz, sie unterstützt beim Lernen und fördert die kulturelle Bildung und Identitätsentwicklung. Auch im Studium und in der Ausbildung werden Bibliotheken gebraucht.

    Später holt man sich Inspiration für den Alltag, die eigene Freizeitgestaltung oder bildet sich individuell und selbst gesteuert fort. Dabei findet immer Begegnung statt. Solche Orte werden in einer heterogenen Gesellschaft zunehmend wichtiger. Geflüchtete lernen mit Ehrenamtlichen. Großeltern kommen mit den Enkeln. Ältere Menschen kommen, weil sie nicht allein sein wollen. Bibliotheken sind auch Orte gegen Einsamkeit. Besucherinnen und Besucher heute wünschen sich Bibliotheken, die großzügige Öffnungszeiten haben und attraktive Aufenthaltsorte sind. Sie erwarten digitale, smarte Dienstleistungen - zum Beispiel eine elektronische Anmeldung mit direkter Bezahlmöglichkeit. Sie erwarten Bestseller im Regal und als E-Book, eine komfortable App, die alles verbindet und persönliche, freundliche Beratung durch ausgebildetes Personal. Und sie wünschen sich Platz. Anstatt mehr Medien werden oft mehr Sitzplätze gefordert. Im besten Fall ist Platz für beides. Vor allem Familien mit Kindern sollte mehr Platz eingeräumt werden. Es braucht Kinderwagen- und Rollerparkplätze. Eltern suchen oft Orientierung für ihre Kinder in der neuen Medienwelt. Und es gibt viele, viele weitere Nutzergruppen, mit ganz individuellen Ansprüchen an ihre Bibliothek.

Bibliotheken gibt es nicht zum Nulltarif, einen Neubau schon gar nicht. Warum lohnt sich die Investition für eine Kommune?

  • Es gibt ganz wenige öffentliche Einrichtungen, die eine solche Vielzahl an unterschiedlichen Menschen erreichen. Bibliotheken sind Bausteine der Stadtentwicklung. Sie werten Innenstädte als Besuchermagnet auf, bieten Erlebnisse und das ohne kommerzielles Interesse. Der Handel kann das nicht mehr leisten.

Die Schorndorfer Stadtbibliothek möchte künftig ein Ort sein, der Menschen das Leben leichter, vielseitiger und interessanter macht. Geht das? Wie kann eine Bibliothek so etwas leisten?

  • Das geht, das zeigen auch die Erfahrungen beispielsweise aus Skandinavien, wo diese Entwicklungen schon viel früher eingesetzt haben. Hier sind großartige Häuser entstanden, die ganz den Bürgern geöffnet sind, mit toller Architektur, langen Öffnungszeiten und verblüffenden neuen Ansätzen, die so gar nichts mehr mit dem klassischen Bild einer Bibliothek zu tun haben und eine unfassbare Besucherresonanz haben. Es lohnt sich, Bibliotheken neu zu denken. Daraus ergeben sich Synergien, die an anderer Stelle auch wieder Geld einsparen können. Neue Bibliotheksräume müssen für diese neuen Aufgaben aber multifunktional und barrierefrei sein.